Kein Friedensgruß mehr in Nigeria

Nach dem Übergreifen der Ebola-Seuche sucht das Land verzweifelt nach Strategien

  • Carola Frentzen, Lagos
  • Lesedauer: 4 Min.
Nigeria ist das vierte Land, auf das die Ebola-Epidemie übergegriffen hat. Die Behörden versuchen, das Virus einzudämmen. Aber viele Menschen vertrauen lieber Wundermitteln wie heißem Salzwasser.

Das Ebola-Virus hat das bevölkerungsreichste Land Afrikas erreicht: Nigeria. Erschreckend ist, dass ein einziger infizierter Patient ausgereicht hat, um innerhalb kurzer Zeit mindestens neun weitere Menschen anzustecken - und eine ganze Nation in Angst zu versetzen. Fast 170 Millionen Menschen leben in dem Land, das eine der höchsten Bevölkerungsdichten des Kontinents aufweist. Um eine tödliche Epidemie zu bekämpfen, die sich durch Körperflüssigkeiten wie Schweiß, Blut oder Speichel überträgt, sind das ungünstige Voraussetzungen.

Die katholische Kirche hat immerhin schnell reagiert: Auf Weisung des Kardinals John Onaiyekan wird das Händeschütteln während des Gottesdienstes als Friedensgruß zunächst abgeschafft. »Manche Leute schwitzen sehr, und da das eine der Arten ist, über die das Virus übertragen wird, halten wir es für besser, erst mal keine Hände mehr anzufassen«, zitierte die Zeitung »Vanguard« den Pfarrer Moses Jimbili. Zudem soll beim Abendmahl die Hostie nicht mehr direkt in den Mund der Gläubigen, sondern auf die Handfläche gelegt werden.

Die Behörden schienen hingegen kaum vorbereitet, als am 20. Juli ein liberianischer Regierungsbeamter bei der Einreise am Flughafen der Mega-Metropole Lagos mit Ebola-Symptomen zusammenbrach. Er wurde auf eine Quarantänestation gebracht, wo er kurz darauf starb. »Die Regierung wartet immer bis zur letzten Minute, bevor sie den Ernst der Lage zu erkennen scheint«, sagte ein Beobachter in der Hauptstadt Abuja. Seit der Ebola-Ausbruch in Guinea im März bekannt geworden war, sei schließlich genug Zeit gewesen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Unter den Menschen, die der Liberianer angesteckt haben könnte, sind nicht nur Passagiere des Flugzeugs, sondern auch Gesundheitsarbeiter, die ihn behandelt hatten. 139 Menschen, die Kontakt mit dem Mann hatten, werden derzeit nach Behördenangaben noch überwacht. »Es war sehr unglücklich, dass er die Krankheit nach Nigeria gebracht hat, aber das zeigt ja auch, dass für jedes Land der Welt ein Risiko besteht«, erklärte Gesundheitsminister Onyebuchi Chukwu. Geschätzte 20 Millionen Menschen leben im Großraum Lagos.

Bisher hatte sich die Seuche zwischen Guinea, Liberia und Sierra Leone vor allem im Grenzgebiet über Land ausgebreitet. Nigeria liegt aber weit entfernt - wohl deshalb sah die Regierung lange kaum Gefahr. Côte d’Ivoire, Ghana, Togo und Benin trennen das westafrikanische Epidemiegebiet und das Land, das normalerweise eher durch den blutigen Terror der Islamistengruppe Boko Haram von sich reden macht. Mittlerweile hat das Virus die Extremistengewalt fast gänzlich von den Titelseiten der Zeitungen verdrängt.

Was Nigeria mit den anderen betroffenen Ländern gemeinsam hat, ist vor allem der Glaube an traditionelle Heiler, Wunderkuren und Zaubermittel. Ärzten und Pflegern in ihren futuristischen Schutzanzügen stehen die Bürger vielerorts skeptisch gegenüber. Das macht den Kampf gegen die Seuche noch schwerer.

Hoffnungsfroh stürzten sich denn auch Tausende auf die »magische Verordnung« des lokalen Königs von Igala, der vor wenigen Tagen als Vorbeugung und zur Immunisierung gegen Ebola folgendes vorschlug: Man nehme eine Prise Salz, gebe sie in 15 Liter Wasser und nehme dann ein Bad darin. Die Rezeptur wurde über lokale Radio- und Fernsehsender sowie über Twitter verbreitet. Die Regierung in Abuja versucht seither oftmals vergeblich, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass solche Hausmittel es nicht mit der tödlichen Krankheit aufnehmen können.

Aus Liberia melden Augenzeugen ebenfalls, dass sich heißes Salzwasser zur Ebola-Bekämpfung großer Beliebtheit erfreut. »Leute, bitte glaubt diese Gerüchte nicht und erzählt sie nicht weiter, weil ihr sonst dabei helft, Lügen zu verbreiten«, warnte der katholische Pfarrer Ambrose Kroma.

Als wohl größtes Problem könnte sich aber ein Ärztestreik erweisen, der das Gesundheitssystem schon seit fünf Wochen weitgehend lahm legt. Das medizinische Personal fordert bessere Arbeitsbedingungen. Aber auch wenn der Ausstand beendet werde, seien viele nicht bereit, mit Ebola-Patienten in Kontakt zu kommen, so die Behörden. Einer der Hauptgründe ist, dass es in Nigeria keine gesetzliche Lebensversicherung für Krankenhauspersonal gibt. dpa/nd Kommentar Seite 10

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