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Entspannung durch Kopfstand

Zur indischen Yoga-Philosophie gehören neben der Bewegung auch Meditation und Moral

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Schätzungsweise fünf Millionen Menschen in Deutschland treiben Yoga. Die ganzheitliche Bewegung tut gut, ist aber kein Allheilmittel für sämtliche Krankheiten.

Ein sanfter Gong ertönt. Dann wird es still im großen Raum. Regungslos verharren sieben Frauen im Lotussitz. »Atmet tief ein und wieder aus«, sagt Yoga-Lehrerin Noel in der Mitte des Halbkreises. »Spüre die Kraft deiner Atmung.« Alle haben die Augen geschlossen und konzentrieren sich auf sich selbst.

Eine Yoga-Einheit beginnt üblicherweise so. Auf die Anfangsentspannung folgt ein Hauptteil mit den eigentlichen Übungen, daran schließt sich eine Tiefenentspannung an. Viele Anhänger schätzen Yoga auch wegen dieses ritualisierten Ablaufs: »Rituale fehlen uns heute«, sagt Angelika Beßler, Vorsitzende des Berufsverbands der Yoga-Lehrenden in Deutschland.

Bei Noeli nehmen die Teilnehmerinnen nach der Anfangsentspannung allmählich bestimmte Körperhaltungen ein, zum Beispiel den »herabschauenden Hund«. Die Frauen gehen tief ein- und ausatmend in den Vierfüßlerstand und recken den Po nach oben, so dass ein umgekehrtes »V« entsteht. Dabei werden Schultern, Beine und Füße gedehnt. Der »Hund« gehört zu den bekanntesten »Asanas«, wie die Positionen auf Sanskrit heißen. Landläufig verbindet man Körperhaltungen wie diese oder den Kopfstand (»Shirshasana«) mit Yoga. Dabei sind sie nur ein Teil der traditionellen indischen Philosophie. »Wir greifen aus dem spirituellen Kontext Dinge heraus, die in unsere Kultur passen«, sagt Christiana Rosenberg-Ahlhaus, Sportwissenschaftlerin an der Universität Konstanz. »Eigentlich sind diese Asanas nur ein Schritt auf dem Weg zur Glückseligkeit.« Zum traditionellen Yoga gehören auch moralisches Verhalten, Selbstdisziplin und -reflektion sowie Meditation.

Noeli Naima Ennes Palaia-Pilz, die seit 25 Jahren Yoga betreibt, achtet darauf, dass ihre Schülerinnen bei den Asanas ihre persönlichen Grenzen erkennen. Die Kurse passt sie den Bedürfnissen ihrer Schüler an: In der heutigen Morgen-Stunde sind vor allem Mütter, die dem Alltagsstress entfliehen wollen. Die Übungseinheit ist deshalb weniger sportlich, sondern ruhig und entspannend. Bei der Schluss-Meditation legen sich die Teilnehmerinnen auf die Matten und vertiefen sich ganz in sich selbst. Im Raum ist nichts mehr zu hören außer gleichmäßigem Atmen. Sanft holt Noeli die Frauen aus ihren Traumreisen zurück und lässt sie sich aufsetzen. Am Schluss singen alle die mystische Silbe »Om«. Die Yoga-Schülerinnen wirken erfrischt und unterhalten sich gut gelaunt. »Nach der Stunde bin ich richtig energiegeladen und nicht mehr so anfällig für Stress«, sagt zum Beispiel Alexandra Ott-Mühlbauer, die seit gut einem Jahr mit dabei ist. Anfangs, erzählt sie, habe sie noch Probleme bei Übungen wie dem »herabschauenden Hund« gehabt. »Man wird mit der Zeit aber dehnbarer und merkt, wie viel Kraft man aus der Körpermitte herausholen kann.« Wegen eines verkürzten Hüftbandes hatte sie früher Probleme mit der Hüfte. »Seit einem halben Jahr bin ich schmerzfrei«, sagt sie. Auch ihre Kurskollegin Viktoria Voss ist vom Yoga überzeugt. Sie schätzt die Stunden, weil sie dadurch wieder zu sich findet. »Es ist wichtig, Momente für mich zu haben, wenn es in der Arbeit oder mit der Familie gerade stressig ist«, sagt die Schauspielerin.

Schätzungen zufolge treiben bis zu fünf Millionen Menschen in Deutschland Yoga, wie Beßler berichtet. »Genaue Zahlen gibt es nicht.« Einer der Gründe dieses Erfolgs sei die enorme Anpassungsfähigkeit der indischen Lehre: »Yoga ist etwas für jeden«, sagt sie. Wahrscheinlich ist Yoga aber auch wegen seiner Fremdartigkeit attraktiv. So erklärt Rosenberg-Ahlhaus: »In unserer technischen, vom Verstand geprägten Welt ist das Interesse an anderen Kulturen, in denen zum Beispiel die Nähe zur Natur oder das Spirituelle wichtig sind, groß. Wir haben das Gefühl, dass uns etwas fehlt und spüren das Bedürfnis nach Ergänzung.«

Der Boom, den Yoga im Westen erlebt hat, geht auf die New-Age-Bewegung der 70er Jahre zurück, sagt Melanie Haller, Bewegungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg. »Wie Salsa und Tango war Yoga Teil der alternativen Bewegungskultur.« In den vergangenen zehn Jahren sei Yoga populärer und auch kommerzieller geworden. Verschiedene Schulen und Stilrichtungen konkurrierten miteinander. »Es gibt zwar Menschen, die Yoga nur als funktionelles Muskeltraining betrachten. Aber das ist nicht das, was Yoga will«, sagt die TanzpädagoginRosenberg-Ahlhaus. Sie verstehe es es als »ganzheitliches Bewegungsangebot«.

Glaubt man den Anhängern, so ist Yoga ein Allheilmittel bei unzähligen Gesundheitsproblemen, etwa bei Immunschwäche, Schmerzen, Schilddrüsenfehlfunktion oder Nervosität. Vieles davon ist Glaubenssache. Doch ein paar dieser positiven Effekte sind wissenschaftlich belegt: Nach Angaben von Stiftung Warentest hilft Yoga gegen Depressionen und gegen Schmerzen verschiedener Art, etwa Rückenschmerzen. Außerdem ist es sowohl bei der Vorbeugung als auch bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nützlich. Yoga kann in solchen Fällen begleitend eingesetzt werden. »Therapien ersetzen kann es nicht«, gibt Rosenberg-Ahlhaus zu bedenken.

Außerdem haben die Übungen auch Risiken und Nebenwirkungen: Wer sich überfordert, kann zum Beispiel leicht Bänder, Sehnen oder Gelenke überdehnen. Beßler betont: »Die größte Gefahr ist zu viel Ehrgeiz oder ein Yoga-Lehrer, der einen in den Ehrgeiz treibt.« Haltungen wie der Kopf- oder Schulterstand sowie starke Dehnungen ohne gute Vorbereitung könnten problematisch sein, warnt sie. Daher rät auch Lehrerin Noeli ihren Schülerinnen stets, auf ihren Körper zu hören: »Ahimsa, die Gewaltlosigkeit, ist ein wichtiges Prinzip im Yoga«, sagt die Brasilianerin. »Auch gegen sich selbst darf man nicht gewalttätig werden.«

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