Norwegischer Räucherlachs ist ausverkauft

Russische Beamte machen Überstunden zur Prüfung der Lieferangebote / Preissteigerungen erwartet

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einem eigenen Lebensmittelembargo konterte Moskau westliche Sanktionen. Aber ein »weiße Liste« ist in Arbeit.

Liebhaber eines doppelten T-Bone-Steaks müssen nach dem Embargo für Lebensmittel aus der EU, den USA, Kanada und Norwegen auf Frischfleisch nicht verzichten. Auch jene, die das vermeintliche Menschenrecht auf frische Erdbeeren im Januar einfordern, das den meisten Russen heiliger ist als das auf Meinungsfreiheit, sehen Licht am Ende des Tunnels. »Bei uns«, so ein argentinischer Exporteur im russischen Fernsehen, »herrscht zum Großteil das gleiche milde Klima wie in Südrussland. Wir können daher alles liefern. Außer Schweinefleisch.«

Mit dem Russlandgeschäft, so hofft Buenos Aires, lasse sich auch der eigene Staatsbankrott abwenden. Moskau sieht das offenbar ähnlich und Argentiniens Präsidentin Christina Fernandez de Kirchner kann schon allein deshalb auf bevorzugte Behandlung rechnen, weil sie dem Westen in der Ukraine-Krise die gleichen doppelten Standards vorwarf wie beim Gerangel zwischen Argentinien und Großbritannien um die Falkland-Inseln.

Nicht nur argentinische Exporteure hocken in den Startlöchern. Brasilien verhandelt über die Lieferung von Schweinehälften und den Mittelstreckenjet Embraer. Mit ihm soll die russische Billigfluglinie Dobroljot, der Europa wegen der Flüge auf die Krim Leasing- und Serviceverträge kündigte, schnellstmöglich wieder abheben.

Knapp zwei Dutzend Länder aus Lateinamerika, Asien und Afrika, heißt es im Landwirtschaftsministerium in Moskau, würden derzeit russische Hygienestandards und Essgewohnheiten studieren. Beamte machen bei der Prüfung von Lieferangeboten Überstunden. Denn die letzten Verträge sollen spätestens im September unter Dach und Fach sein. Die Vorräte, die Großhandel und Supermärkte in ihren Lagern gebunkert haben, sind endlich.

Noch herrscht in großstädtischen Guormet-Tempeln kein Mangel. Das nötige Kleingeld vorausgesetzt - wir reden von einem Monatseinkommen ab 80 000 Rubel, das sind umgerechnet rund 1850 Euro - haben die Moskowiter nach wie vor die Qual der Wahl: Roquefort oder Gorgonzola, Parma- oder Serrano-Schinken.

Norwegischer Räucherlachs allerdings ist bereits ausverkauft. Russkoje morje will zwar schnellstmöglich für Ersatz aus Russisch-Fernost sorgen, bereitete den Einzelhandel aber schon letzte Woche schonend auf Preissteigerungen vor. Der Weg vom Pazifik sei schließlich viermal länger als der von der Barentssee.

Aus eben solchen Gründen rechnen Branchenexperten auch bei den heiß ersehnten Importen aus Lateinamerika und Südafrika mit Preissteigerungen zwischen 30 und 50 Prozent. Das dürfte der gut betuchte Konsument von Papayas und Passionsfrüchten locker wegstecken. Bei Äpfeln, Kartoffeln und Fleisch aber ist Schluss mit lustig, weil es dann der Masse ans Geld geht. Und was Iwan Normalverbraucher nicht ahnt oder verdrängt: Sogar in urrussischen Wurstsorten wie der »Doktorskaja« steckt vor allem polnisches Fleisch.

Regierungschef Dmitri Medwedew hat bereits ein Programm in Aussicht gestellt, mit dem Russland sich nicht nur von importierten Lebensmitteln unabhängig machen, sondern diese sogar selbst exportieren soll. Es ist auf fünf Jahre angelegt, und eher dürften russische Landwirte auch kaum ihre Misere überwinden. Sie produzieren nicht nur zu wenig, sondern auch zu ineffizient und daher zu teuer. Gleich nach Ende der Sowjetunion fegte der Systemwandel sie gnadenlos vom Markt.

Agenten - gemeint sind hier nicht die offiziell als ausländische Spione diffamierten Organisationen der Zivilgesellschaft, sondern Zwischenhändler - setzten konsequent auf westliche Lebensmittelkonzerne. Sie verlinkten Produzenten, Groß- und Einzelhändler neu miteinander. Fortan begegneten westliche Produkte und nicht die einheimischen dem russischen Käufer auf Augenhöhe.

Dieses Missverhältnis, fürchten Branchenexperten, werde sich in ein paar Wochen nicht korrigieren lassen. Mehr Zeit aber haben - bei Strafe des politischen Untergangs - Medwedew und dessen Ministerriege nicht. Dazu kommt, dass derzeit weder die Allzweckwaffe Argentinien noch andere Schwellenländer Ersatz für Diabetiker- oder Allergiker-Nahrung liefern können. Seit Ende letzter Woche werkelt das Kabinett in Moskau daher bereits an einer Teilrücknahme der gerade erst beschlossenen Einfuhrstopps. Neben laktosefreien Lebensmitteln und Saatgut soll auch Lachsbrut auf eine »weiße Liste« gesetzt werden.

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