Tropisches Betriebsklima

Beim Hamburger Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« tobt ein Machtkampf

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Beim Hamburger Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« brechen jetzt die seit Monaten mehr oder weniger verdeckt schwelenden inneren Konflikte offen auf. Der Streit, in dessen Zentrum Chefredakteur Wolfgang Büchner steht, bietet seltene Einblicke in die sonst sorgsam abgeschotteten Entscheidungsabläufe in Deutschlands einflussreichster Redaktion. Die Kontroverse könnte entweder zum reinigenden, für die Medienlandschaft gesunden Gewitter werden. Oder aber, sollte der Machtkampf zugunsten Büchners ausgehen, die Mitarbeiter-KG des »Spiegel« endgültig als zahnlosen Tiger zurücklassen.

Denn welche Belegschaft der großen deutschen Zeitungen sollte sich gegen eine Führungsebene, der sie nicht vertraut, durchsetzen, wenn nicht die angeblich so mächtige Mitarbeiter-KG des »Spiegel«? Halten die Angestellten in der Hamburger Redaktion doch seit den 70er Jahren 50,5 Prozent der Firma - ein Unikat im deutschen Pressewesen.

Der Ex-dpa-Chef Büchner, »Spiegel«- und »Spiegel-Online«-Chefredakteur seit 2013, hat nun im Streit mit der ihn misstrauisch beäugenden Redaktion angekündigt, alle Stellen der Ressortleiter neu auszuschreiben. Offizielle Begründung dafür ist die gewollte Verzahnung von Print- und Online-Zeitung: Die Ressorts auf Papier und im Internet sollen künftig nicht mehr getrennt geleitet werden.

»Spiegel«-Mitarbeiter stechen jedoch eine andere Version an die Medien durch: Demnach rächt sich Büchner nun an den Ressortchefs - für deren Versuch, Verlagschef Ove Saffe zu einer Entlassung Büchners zu bewegen. Der sei ein ordentlicher Manager, aber kein Chefredakteur, ihm fehle das Format für den »Spiegel«, er sei »untragbar«, hieß es angeblich.

Den Plänen Büchners muss die erwähnte Mitarbeiter-KG zustimmen und gerät dadurch zwischen die Stühle. Lehnt sie ab, wäre Büchners und Saffes Autorität wohl zu angeschlagen, um weiter zu leiten - der »Spiegel« stünde einmal mehr, wie jüngst auch der »Stern«, kopflos da. Medien spekulieren gar, dass Büchner und Saffe die jüngste Konfrontation bewusst inszeniert haben: Ihr Abgang soll dann nicht als eine Flucht aus Amtsmüdigkeit oder Unfähigkeit gedeutet werden, sondern als das Scheitern von zwei Modernisierern an bornierten und besitzstandswahrenden Mitarbeitern, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.

Schlägt sich die KG jedoch auf die Seite Büchners, wäre das Vertrauen der Mitarbeiter zu ihrer Vertretung wohl endgültig dahin. Die Redakteure nehmen ihren Delegierten ohnehin noch immer übel, dass sie nicht einschritten, als Büchner Ende letzten Jahres gegen den erklärten Redaktionswillen den »Bild«-Mann Nikolaus Blome in die Chefredaktion hievte. Laut »Berliner Zeitung« wurden in der Redaktion schon über 160 Unterschriften gegen die eigenen Vertreter gesammelt. Zu einem Krisentreffen zwischen Büchner, Saffe und den Ressortleitern erschien am Mittwochabend laut Medienberichten denn als Machtdemonstration auch fast die ganze Redaktion - uneingeladen.

Die von der Mitarbeiter-KG gehaltenen »Spiegel«-Anteile sind ein zweischneidiges Schwert für die Belegschaft. Die erhält dadurch einerseits eine beachtliche Möglichkeit der Mitbestimmung. Andererseits nimmt genau das die Redakteure direkt in die Pflicht. Auch wenn es so einfach nicht ist, denken sich viele enttäuschte Leser: Wenn die Redakteure wollten, würde endlich wieder zwischen Bericht und Kommentar unterschieden werden, würde die außenpolitische Ausrichtung weniger polemisch gestaltet, würde die Wirtschaftsredaktion nicht ausschließlich mit Vertretern des Neoliberalismus besetzt werden - um nur einige der immer lauter geäußerten Kritikpunkte an der Arbeit des »Spiegel« zu nennen.

An die Mitarbeiter-KG knüpfen sich also nicht nur die Hoffnungen enttäuschter Leser, sondern die vieler politisch interessierter Bürger. Denn Reichweite und noch verbliebene Reputation machen den »Spiegel« zum gesellschaftlichen Akteur, der nicht unterschätzt werden darf.

Eine merkwürdige Rolle im Machtgefüge nimmt Erbe Jakob Augstein ein. Dem gehören die 24,5 Prozent Familienanteile, er könnte also »im Zweifel links« agieren. Tatsächlich aber nimmt er die inhaltliche und personelle Verzahnung des »Spiegel« mit der »Bild«-Zeitung nicht nur hin - die bis heute den Reaktionsfrieden belastende Berufung von Nikolaus Blome hat er sogar aktiv gestützt.

In der Redaktion an der Hamburger Ericusspitze bahnt sich also eine Entscheidungsschlacht an - angeblich raunt man sich schon das Wort »Streik« zu. Nicht nur Medienfachleute beobachten das gebannt. Denn bei diesem Konflikt geht es nicht nur um das Betriebsklima. Es geht auch um das Klima und die Inhalte der politischen Debatten in Deutschland.

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