Ein Theaterzauberer geht

Zum Tode von Wilfried Werz, dem langjährigen Chefbühnenbildner der Staatsoper Unter den Linden

  • Eberhard Keienburg
  • Lesedauer: 3 Min.

September 1963: Theatersensation in der Komischen Oper! Der bemalte Vorhang zu Walter Felsensteins »Ritter Blaubart« hob sich, ein Schmetterling flatterte schräg über die Bühne - und sofort war’s ein Riesenerfolg, auch für den jungen Ausstatter Wilfried Werz: die Portale verkleidet in raffiniertem Stilmix aus Barock, Rokoko, Renaissance, der Bühnenboden glänzendes Parkett - Tablett für idyllische Schäferwelt , für Hanns Nockers aufgeplusterten Ritter hoch zu Ross mit Brustpanzer und Federhut, für Werner Enders als königlich-skurrilen Kretin Bobeche - alles ironische Verkleidung, alles Offenbach mit Geist und Pomp, Sieg unbändiger Spiellust über deprimierten Alltag, zwei Jahre nach dem Mauerbau … 29 Jahre blieb dieser Triumph auf dem Spielplan!

Wilfried Werz, damals 33 Jahre alt, hatte in Dresden begonnen: erst Malsaal, dann Kunsthochschule, dort lernte ich - viel jüngerer Anfängerstudent - ihn kennen, dort gab er mir weiter, was er von seinem großen Lehrer Karl von Appen (später der Bühnenbildner Brechts) gelernt hatte: die schwierige Verbindung von dramaturgisch-intellektuellem Anspruch mit künstlerischem Ausdruck - und »Winze« (Sohn eines »Kunstmalers«) konnte damals schon viel besser mit dem Pinsel erzählen als wir anderen Studenten alle.

Dann erstes Engagement: Bevor es am Kleisttheater Frankfurt/Oder zum Vertrag (350 Mark monatlich!) kam, testete der Intendant den verdächtig kopflastigen Absolventen auf praktischen Theatersinn, er forderte aus dem Stand Ideenentwürfe zu Raymonds Operettenkitsch »Saison in Salzburg«, innerhalb einer Woche … Schon in Dresden hatte eine jahrzehntelang prägende Arbeitspartnerschaft mit dem Regisseur Erhard Fischer begonnen, beide jung und tatendurstig, erste gemeinsame Studentenopern, später opulent-witzige Operetten in Leipzig (»Banditen«) und am Berliner Metropoltheater - Musiktheater wurde Lebensthema, Fischer mehr mit sprühendem Theaterbauchgefühl, Werz immer mehr der Kopf des Duos (und durchaus auch mal echauffiert über den »blöden« Regisseur, der doch ein genialer Spielerfinder war). 1965 holte Staatsopernintendant Hans Pischner beide mit bewundernswertem Spürsinn: ihrer attraktiven ersten Premiere »Ariadne auf Naxos« (mit dem Bacchusauftritt per Schiff, als wär’s in Hollywood) folgte eine lange Reihe gemeinsamer Arbeit: Mozart, Verdi, Wagner, Penderecki und und und … - Schostakowitschs »Nase« mutig herausragend.

Dann Harry Kupfer als neuer Regiepartner mit anderen Gedanken: 1971 »Frau ohne Schatten« als bildstarkes Märchen (später ganz anders in Amsterdam), 1979 »Salome« dreckig, hart, schlimm, 1981 metaphernreicher »Meistersinger«-Baum in der Komischen Oper - dazwischen Gastspiele auf vielen Bühnen der Welt. Werz immer mit museumsreif gemalten Entwürfen, mit suggestiven Kostümfigurinen (bis zum letzten Komparsen mit menschlichem Gesicht), immer vital und rhetorisch brillant im Kampf gegen dröge Geister. Für Regisseure mit verschwommener Idee wucherte seine Malwut über sich hinaus, wenn ein gemeinsam gefundener Plan den Pinsel zähmte, wurden’s die besten Arbeiten.

Dreißig Jahre Ausstattungsleiter und Chefbühnenbildner Unter den Linden - eine starke Etappe des Berliner Musiktheaters mit starken kontinuierlich wachsenden Teams - »Wende« und Alter setzten den Schluss - und viele Häuser versanken zu Gemischtwarenläden, die Staatsoper allen voran. Noch bis 1997 Professur in Dresden - Werz hatte viel weiterzugeben: die mörderische Suche nach Form, das Stück streng als Gesetz und Freiheit - weit weg von leichtsinnigen Ideengags.

Wilfried Werz starb am 14. August im 84. Lebensjahr in Berlin. Am heutigen Freitag ab 11 Uhr findet die Trauerfeier in der Evangelischen Kirche in Glienicke (Am Dorfanger) statt.

»Die Chance ist da«, hatte er einst gesagt, »ein Leben zu leben, das von Kunst geprägt ist (ich empfinde das als ein Geschenk). Es kann auch ein Weg aus dem Chaos sein.«

Eberhard Keienburg war von 1974 bis 2001 Ausstattungsleiter und Erster Bühnenbildner am Deutschen Theater.

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