Mehr Wonne mit der Sonne

Grenzübergreifender Protest gegen Kohleabbau

  • Susanne Götze 
und Susanne Schwarz
  • Lesedauer: 6 Min.
In einer acht Kilometer langen Menschenkette protestierten am Samstag 7500 Klimacamper mit Menschen aus der brandenburgischen Lausitz und polnischen Nachbarn gegen neue Braunkohletagebaue.

Das ostbrandenburgische Kerkwitz und das polnische Grabice hatten vielleicht noch nie so viele Besucher. Zwischen beiden Dörfern stehen am Samstagmittag Tausende Menschen und halten einander an den Händen. Mal rücken sie ein wenig nach links, dann wieder nach rechts und probieren, sämtliche Lücken zu schließen. Kinder und Alte, Studenten, Aktivisten und ganze Familien sind aus aller Herren Länder gekommen, um die bedrohten Dörfer zu unterstützen, in deren Umfeld der schwedische Konzern Vattenfall und die polnische PGE-Gruppe (Polska Grupa Energetyczna) Dutzende neue Tagebaufelder erschließen und Tausende Menschen umsiedeln wollen. Viele Dorfbewohner sind berührt von so viel Solidarität, andere wirken wild entschlossen, fast wütend.

Der grenzüberschreitende Protest ist der Höhepunkt des Lausitzer Klimacamps, einem der zwei großen Klimacamps in Deutschland. In Kerkwitz waren über die Woche zahlreiche Umwelt- und Klimaaktivisten gekommen, manche für sieben Tage, andere nur für ein paar Stunden. Etwa 120 von ihnen hatten sich bis Sonntag mit ihrem Zelt auf dem Kerkwitzer Sportplatz eingerichtet. In dem beschaulichen Dorf scheint die Welt in Ordnung. »Oder können Sie sich vorstellen, dass wir hier quasi auf einem Tagebau stehen?«, fragt Klimacamp-Sprecher Marvin Kracheel. Der grün bewachsene Kerkwitzer Sportplatz liegt tatsächlich dort, wo sich schon bald der Tagebau Jänschwalde Nord erstrecken soll. Zwar stocken derzeit Planfeststellungsverfahren und Beantragung der bergrechtlichen Genehmigung - jedoch wurde die geplante Abbaggerung bereits 2007 von der brandenburgischen Landesregierung und Vattenfall offiziell angekündigt. Drei Dörfer sollen abgebaggert und 900 Menschen umgesiedelt werden.

Was dann kommt, kann man wenige Kilometer weiter besichtigen. Der Ungar Balit und seine 30-köpfige Jugendgruppe aus Budapest stehen fassungslos am Aussichtspunkt bei Jänschwalde und blicken auf die Mondlandschaft des Kohleabraums. Am Horizont spucken die Schlote vom Kraftwerk Jänschwalde weiß-graue Wolken in den Spätsommerhimmel. Sie sind gekommen, um ihre polnischen und deutschen Gesinnungsgenossen bei der Menschenkette zu unterstützen. Einen Tagebau haben sie nie zuvor gesehen. »In Ungarn haben wir leider nur eine sehr kleine Umweltbewegung«, sagt Balit bedauernd. Viele Menschen hätten mit einem Monatseinkommen von knapp 200 Euro pro Monat einfach andere Sorgen. Neben deutschen und polnischen Umweltschützern sind noch Kohlegegner aus rund 25 anderen Ländern dabei, etwa aus Belgien, Frankreich, Bulgarien, Tschechien und Österreich. Auf dem Treppchen, das auf den kleinen Aussichtspunkt zum Tagebau führt, drängeln sich Neugierige. Fast 50 Leute machen am Tagebauzaun Fotos, als ständen sie am Eiffelturm. Die Vattenfall-Security verweist die Umweltpaparazzi verärgert hinter die Absperrung. Das Gelände sei Privatbesitz.

Für die polnischen Aktivisten ist der Kampf gegen die Kohle dagegen ein Alltagsgeschäft. Polens Strom kommt zu 90 Prozent aus Kohlekraftwerken. In naher Zukunft sollen auf polnischem Gebiet ebenfalls bis zu 15 Dörfer abgebaggert und 3000 Menschen umgesiedelt werden. Ab 2020 könnte noch rund 50 Jahre lang gefördert werden. »Wenn es nach den Klimazielen geht, sollten wir ab 2050 eigentlich schon an die 100 Prozent mit Erneuerbaren versorgt sein«, meint Meri Pukarinen, die für Greenpeace Polen in der Menschenkette steht, in perfektem Oxfordenglisch. »Der Ausstieg ist möglich, denn es gibt mittlerweile alle technischen Voraussetzungen - allerdings fehlt schlicht der politische Wille«, so die Polin.

Doch nicht nur die Politik, sondern auch die Wahrnehmung sei ein großes Problem, meinen viele der Angereisten, die das Kraftwerk Jänschwalde und einen Tagebau zum ersten Mal in ihrem Leben sehen. »Ich komme aus Norddeutschland«, erzählt Liedermacher Christian Kuhtz. »Den Leuten dort ist oft gar nicht bewusst, dass woanders in Deutschland Menschen unter der Kohle und den Tagebauen leiden.« Deshalb habe er mit dem Dichten seiner Lieder angefangen, sagt er und bindet sich flugs mit seiner Protestschärpe an seine Nachbarn in der Kette - um die Hände zum Gitarrespielen freizuhalten. »Mit Wind und Sonne wird das ’ne Wonne«, trällert er fröhlich.

Das könnte eigentlich auch das Land Brandenburg so sehen. Immer wieder hebt die rot-rote Landesregierung stolz Brandenburgs Rolle als Energiewendeland hervor. Die Erneuerbaren sind hier schließlich vorbildlich ausgebaut. Dass das Bundesland mit der Braunkohle auch den dreckigsten Energieträger massenhaft nutzt, unterschlagen Landesminister gern. Wenn jemand Vattenfall stoppen kann, so die Meinung vieler Brandenburger auf dem Camp, dann ist es der politische Wille. Erst im Juni aber genehmigte die rot-rote Landesregierung die Erweiterung des Lausitzer Vattenfall-Tagebaus Welzow-Süd II. Besonders in der Kritik: die Linkspartei. Während die Bundespartei sich um ein Kohleausstiegsgesetz bemühte, winkten die Minister der LINKEN in Brandenburg das Vattenfall-Projekt zusammen mit der SPD durch - nachdem auch sie sich noch kürzlich im Wahlkampf deutlich gegen neue Tagebaue ausgesprochen hatten. Hochverrat, befinden viele in der Menschenkette lautstark.

Mitten in dieser steht Bernd Brouns, der für die Linkspartei im Bundestag den Arbeitskreis Struktur- und Regionalplanung koordiniert. Zuvor war er in der Fraktion jahrelang Referent für Energie- und Umweltpolitik. Auf seinem T-Shirt prangt die Forderung »Baggerverbot für rot-rot!«. »Ich bin aber rein privat hier«, eröffnet er. Vor Jahren hat er die Klimacamps in der Lausitz sogar mitorganisiert, nun ist er zum Besucher geworden. Ob man sich auf dem Klimacamp oft verteidigen müsse, wenn man der Linkspartei angehört? »Es gibt darüber schon einige Diskussionen«, bestätigt Brouns. »Die brandenburgische Landesregierung hat bundesweit viele LINKE-Mitglieder und -Wähler enttäuscht, mir geht das kaum anders.«

Die 90 Jahre alte Emmy, mit Gehstock in der Kette eingereiht, und ihre Freundinnen aus dem nahen Dörfchen Groß Gastrose haben nicht mehr viel Hoffnung, dass die Landesregierung die Kohle aufhält: »Konzerne wie Vattenfall nehmen auf nichts Rücksicht«, meinen die alten Damen wütend. Auch der Kampf um das Dorf Horno, das 2005 dem Tagebau Jänschwalde zum Opfer fiel, habe letztlich nichts genützt. Seit den 1970er Jahren hatten die Einwohner dort gegen die Abbaggerung des Dorfes protestiert. Warum sie trotzdem hier seien? Die drei Damen winken ab: »Uns hilft das alles ja nichts mehr, wir werden vorher sterben. Aber uns geht es um die nächsten Generationen«, erklären sie.

Kurz vor halb drei können die Aktivisten aufatmen. Einer der Organisatoren des Camps fährt die Strecke mit dem Fahrrad ab und verkündet: Die Kette ist geschlossen! 7500 Menschen sind zusammengekommen und füllen die ganzen acht Kilometer aus.

Klimacampsprecher Marvin Kracheel sieht nach einer Woche Kerkwitz müde, aber rundum zufrieden aus: Nicht nur die Menschenkette, sondern auch die rege Beteiligung am Camp selbst ist für die Organisatoren ein großer Erfolg. »Für nächstes Jahr müssen wir uns was Neues ausdenken, wenn wir uns nicht selbst unterbieten wollen«, erklärt er augenzwinkernd und sichtlich erleichtert.

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