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Keine Gnade beim Finale in den Rocky Mountains

Jens Voigt nimmt nach 18 Jahren als Radprofi Abschied - doch bei seinem letzten Rennen in den USA blieb er ohne Fortune

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Der gebürtige Mecklenburger Jens Voigt feierte bei der USA Pro Challenge seinen Abschied - nach 18 Jahren als Radprofi.

Es war ein Abschied ohne Fortune. Zweimal versuchte Voigt in Colorado dem Feld zu enteilen. Das zweite Mal wurde er erst 900 Meter vorm Ziel eingeholt. Die Pro Tour-Teams hätten ihm den süßen Abschied gegönnt und beteiligten sich kaum an der Verfolgungsjagd. Aber die Pro Continental-Rennställe kannten keine Gnade.

In seinen besten Jahren konnte Voigt Alleinfahrten noch ohne fremde Gnaden mit Siegen krönen. Zwei Etappensiege bei der Tour und einer beim Giro sprangen heraus, zwei gelbe und zwei gepunktete Trikots.

Das Talent zum König der kleinen Berge hatte sich schon früh bemerkbar gemacht. Sein erster Sieg gelang dem Neunjährigen bei einem Bergzeitfahren. Nur drei Wochen zuvor war er in die BSG Traktor Dassow eingetreten. »Die kamen in die Schule mit einem funkelnagelneuen Diamantrad und haben gesagt: Wer zu uns kommt, kriegt solch ein Rad. Für einen Jungen ist das doch das Größte«, erinnert er sich im nd-Gespräch. Drei Trainingswochen später die Rostocker Bezirksmeisterschaften - ein Bergzeitfahren zum Jagdschloss Binz. Voigt gewann. Mit neuem Rad und erstem Sieg im ersten Rennen war die Liebe zu diesem Sport entfacht.

Es folgten etwa 875 000 Kilometer in Training und Wettkampf auf dem Rad. Das sind mehr als 21 Erdumrundungen. 1500 Renntage kommen zusammen, allein 340 bei der Tour. 110 Stiche zählte er nach Verletzungen. »Zwei oder drei Ersatzteile aus Titan sind immer noch in meinem Körper«, meint er.

Auf 17 Tour-de-France-Teilnahmen hat der 42-Jährige es gebracht. Im Gegensatz zu den Mitrekordhaltern George Hincapie (Kolumbien) und Stuart O’Grady (Australien), die Doping einräumten, konnte Voigt solche Situationen vermeiden. Er wurde auch nie positiv getestet.

Rückblickend macht er eine Risikoabwägung dafür verantwortlich. »Ich habe mich gefragt: Willst du ein Millionär und Superstar werden mit dem Risiko, dass die Sache jeden Moment explodiert, oder willst du ruhig und sicher leben? Ich habe mich für das ruhige Leben entschieden«, versichert er. Und wer das nicht ganz glaubt, Journalisten oder kritische Fans, dem gibt er auf den Weg: »Wie denkt ihr denn, dass ich gedopt haben soll? Ich war nie bei Fuentes, nie bei Ferrari, ich war nicht bei Humanplasma in Österreich. Soll ich das immer allein gemacht haben? Und soll ich dann immer der Cleverste von allen gewesen sein, der, der niemals erwischt wurde?« Da steht der Beobachter vor dem Dilemma, Voigt entweder für gerissener noch als den Amerikaner Lance Armstrong zu halten - oder ihm zu glauben.

Für die Zeit nach dem aktiven Radsport stellt er sich Tätigkeiten bei seinem US-amerikanischen Team Trek und beim Reisebüro des Sponsors vor. Er will sein Buch zu Ende schreiben, Radsport im Fernsehen kommentieren und seinen Onlineversandhandel von Fanartikeln ausbauen. Die alte Buchladenidee muss noch warten. »Das ist meine liebste Idee. Aber um sechs Kinder zu ernähren müsste der Buchladen schon so groß wie Karstadt sein«, sagt er. Rechnen gelernt hat der Mann mit den vielen Rennkilometern.

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