»Oppositionsarbeit ist nicht zu unterschätzen«

Klaus Lederer spricht mit dem nd über die Situation nach dem Rücktritt Wowereits

  • Lesedauer: 4 Min.
Die Linkspartei fordert Neuwahlen, weil sie die sauberste Lösung sind – bis es dazu kommt, will sich der Landesverband laut Klaus Lederer weiter inhaltlich profilieren.

nd: Herr Lederer, der Rücktritt von Klaus Wowereit dürfte auch die LINKE kalt erwischt haben, welche Folgen hat die Rücktrittankündigung? Immerhin hat Ihre Partei neun Jahre lang mit dem Noch-Regierenden koaliert?

Lederer: Kein Mensch hat mehr damit gerechnet, dass Klaus Wowereit 2016 noch mal antreten wird. 13 Jahre Regierungsführung durch die SPD unter Klaus Wowereit sind eine Ära für sich, deshalb ist es eine Zäsur. Bis 2002 hatten wir eine rückwärtsgewandte Stadtpolitik, eine von der alten Westberliner Frontstadtkultur geprägte Hauptstadtpolitik. Es gab die Verschleuderung öffentlichen Vermögens und wir hatten ein Haushaltsdefizit sondergleichen. Da war es ein mutiger Aufbruch von Klaus Wowereit, mit der PDS zusammen eine Koalition einzugehen und die Probleme in der Stadt selbst in die Hand zu nehmen, ohne auf den Weißen Ritter zu warten. Jetzt stehen neue Fragen an, auf den die selbsternannten Berlinversteher seit langem keine Antworten haben.

Sie sprechen von Zäsur – danach kann man doch nicht einfach weitermachen, als wäre nichts gewesen?

Rot-Schwarz hat einen Koalitionsvertrag, das stimmt. Die Verfassung sieht aber auch die Möglichkeit von Neuwahlen vor, und es wäre richtig, wenn die Koalition jetzt den Weg dafür freimachen würde. Die Frage ist doch, wie es mit dieser Stadt weitergehen soll. Welche Konzepte, Ideen existieren dafür, was sind die besten Inhalte und dann, abgeleitet, wer sind die besten Köpfe? Darüber müssten die Berliner jetzt entscheiden. Stattdessen sollen sie als Zaungäste dem SPD-Mitgliedervotum zuschauen.

Neuwahlen sind in der Linkspartei nicht unumstritten. Hat die Partei überhaupt die finanziellen und personellen Ressourcen, um kurzfristig einen Wahlkampf zu stemmen?

In unseren Gremiensitzungen gab es kaum andere Sichten. Was das Personal angeht, das steht an zweiter Stelle und wird von Parteitagen entschieden. Inhaltlich diskutieren wir seit 2011 in der Partei in einem Leitbildprozess verschiedene Themen: Wohnen und Mieten, unsere Vorstellungen für die Region und jetzt im Herbst gute Erwerbsarbeit.

Bleiben wir bei der Personalfrage: Es heißt, Fraktionschef Udo Wolf und Sie haben sich bereits darauf verständigt, dass Klaus Lederer 2016 Spitzenkandidat der LINKEN in Berlin sein wird.

Wir haben uns verständigt, dass das Gremien zu entscheiden haben, und zwar dann, wenn die Frage ansteht. Bei uns wird es kein Theater wie bei der SPD geben. Wir sind kein Ein-Mann-Unternehmen. Für eine linke Partei, für eine linkssozialistische Partei ist das keine Option.

So eine Basisbefragung würde doch auch den Sozialisten gut zu Gesicht stehen, Sie befürworten doch auch sonst die direkte Demokratie?

Sicher, das ist ein Instrument, auf das man zurückgreifen kann. Und zwar dann, wenn unterschiedliche Beteiligte oder unterschiedliche Köpfe mit unterschiedlichen Konzepten miteinander konkurrieren. Dann ist die Parteibasis die berufene Gruppe von Menschen, die in einer solchen Frage zu entscheiden hätte. Ob das bei uns so ist, wird sich zeigen. Der neue Landesvorstand, der im November gewählt wird, muss sich damit befassen. Wenn die Bewerbungslage aber gar nicht so uferlos ist und die Gremien sich auf eine Kandidatur einigen, die auch in der Breite getragen wird, braucht man kein Mitgliedervotum mehr. Es hängt also von der Situation ab.

Bei Ihrem einzigen möglichen Koalitionspartner in Berlin, der SPD, entscheiden jetzt die Mitglieder.

Es ist scheinbar die letzte Möglichkeit, diesen Konflikt, der eine reine Personalauseinandersetzung ist, überhaupt miteinander zu klären. Aber was die SPD macht, ist nicht mein Bier. Die Inhalte müssten im Vordergrund stehen.

Befürchten Sie aufgrund des Machtkampfes bis zum 11. Dezember einen Stillstand in der Stadt?

Den Stillstand haben wir doch seit geraumer Zeit, der wird sich fortsetzen. In den kommenden zwei Jahren wird es mit dieser Koalition keine vernünftige Stadtpolitik geben. Das macht mir am meisten zu schaffen.

Wenn Sie das so stark bewegt, warum schalten Sie nicht auf Attacke und ziehen auch andere Optionen in Erwägung: ein Misstrauensvotum, fließende Koalitionswechsel oder die Unterstützung des laufenden Abwahl-Volksbegehrens beispielsweise?

Der Ball liegt im Feld der Koalition. Das Instrument des Abwahlbegehrens ist in Ausnahmesituationen gerechtfertigt: 2001 während des Bankenskandals, als offensichtlich war, das ist eine komplett zerrüttete Konstellation, war es richtig. Derzeit ist das noch nicht so. Und fliegende Wechsel sind immer eine problematisch Sache. Deshalb wäre die sauberste Lösung Neuwahlen. Misstrauensvoten mögen sich symbolisch im Parlament gut machen. Im Moment würde das aber SPD und CDU stärker zusammenrücken lassen.

Die LINKE kommt also erst einmal gar nicht in Versuchung, wieder mitzuregieren?

Wir haben die letzten drei Jahren genutzt, wieder viel intensiver mit gesellschaftlichen Gruppierungen, mit Gewerkschaften und Initiativen zu diskutieren. Das hat uns gut getan Dadurch konnten wir unsere Vorschläge verbessern und auch einiges bewegen. Oppositionsarbeit ist nicht zu unterschätzen. Wenn es die realen Kräfteverhältnisse zulassen, werden wir mit unseren Inhalten die Stadt wieder sozialer machen.

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