Gedenken und sich Gedanken machen

Mit einem Benefizspiel wurde in Berlin an Andreas Biermann erinnert, der sich im Juli das Leben genommen hatte

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor knapp zwei Monaten beging Andreas Biermann nach langer psychischer Krankheit Selbstmord. Das Benefizspiel in Berlin sollte zu Gedanken über den zukünftigen Umgang mit Depressionen anregen.

Das Spiel war schon lange vorbei, das Flutlicht im Stadion an der Alten Försterei bereits ausgeschaltet und die Spieler in den Katakomben verschwunden, da stand Holger Stanislawski immer noch an der Bande. Der Trainer - er arbeitete in der Vergangenheit beim FC St. Pauli, der TSG Hoffenheim und beim 1. FC Köln und ist momentan vereinslos - plauderte ganz locker mit einigen Fans, ließ geduldig Fotos von sich machen und schrieb Autogramme. Er stand nicht unter Stress.

Bei einer normalen Bundesliga-Partie hätte er sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon auf der Pressekonferenz oder in der Kabine bei der Mannschaft befunden. Doch beim Benefizspiel für den verstorbenen Ex-Spieler Andreas Biermann hatte er Zeit für längere Gespräche mit den Zuschauern.

Stanislawski fühlte sich im Köpenicker Stadion sichtlich wohl. Dabei war der Anlass der Veranstaltung am Donnerstagabend ein trauriger: Andreas Biermann ist tot. Der Ex-Fußballer nahm sich vor knapp zwei Monaten das Leben, nachdem er unter Depressionen gelitten hatte. Der gebürtige Berliner spielte unter anderem beim 1. FC Union und von 2008 bis 2010 unter Stanislawski beim FC St. Pauli.

Mehrere Suizidversuche unternahm er. Als Nationaltorhüter Robert Enke sich 2009 das Leben nahm, begab er sich in stationäre Behandlung und ging mit seiner Krankheit an die Öffentlichkeit. Alle wussten Bescheid, doch niemand konnte ihm letztlich helfen. Am 18. Juli dieses Jahres beging auch er Suizid, vergangene Woche wurde er beerdigt. Andreas Biermann wurde nur 33 Jahre alt.

Zum Gedenken an Biermann organisierte der 1. FC Union ein Benefizspiel gegen ehemalige Mitspieler, die sich »Biermann-All-Stars« nannten und von Holger Stanislawski betreut wurden. Als der Coach nach der netten Plauderei mit den Fans auf seinen ehemaligen Verteidiger zu sprechen kam, war er sichtlich bedrückt. »Es kann keinen würdigen Abschied für einen Menschen geben, der Selbstmord begangen hat«, sagte er mit ernster Miene. »Aber es wurde ein Rahmen geschaffen.«

Die beiden Mannschaften trennten sich 3:3. Für die All-Stars trug sich neben den Ex-St.Pauli-Spielern Alexander Ludwig und Stefan Winkel der ehemalige Union-Profi Karim Benyamina in die Torschützenliste ein, für die Berliner trafen Christopher Quiring, Benjamin Köhler und David Hollwitz. Auf beiden Seiten wurden die Tore von den Zuschauern bejubelt. Auch All-Star-Torhüter Marian Unger erhielt Anerkennung für mehrere Glanzparaden.

Aber darum ging es nicht. Es ging darum, an einen Menschen und sein Leiden zu erinnern. »Es war ein tolles Fußballspiel, aber wir dürfen nicht vergessen, warum wir hier sind«, sagte Benyamina, der mit Biermann zwischen 2006 und 2007 bei Union gespielt hat. Neben dem Algerier waren auch die Ex-Unioner Jan Glinker, Björn Brunnemann, Christian Stuff und Sebastian Bönig dabei.

Benyamina, der seit kurzem zurück in Berlin ist und beim BAK spielt, wurde bei seiner Rückkehr in die Wuhlheide von den Fans gefeiert. Ihm fiel es schwer, über Biermanns Tod zu sprechen. »Ich kenne ›Biere‹ von früher, er war ein guter Mensch«, sagte Benyamina. Leider habe man nach der gemeinsamen Zeit in Berlin zu wenig Kontakt miteinander gehabt.

Zumindest aber regte das Benefizspiel an, darüber nachzudenken, wie man mit psychischen Krankheiten von Spielern besser umgeht. Holger Stanislawski wollte nach dem Spiel jedenfalls mit einem Vorurteil aufräumen. »Es geht nicht vorrangig darum, dass die Spieler im Profigeschäft zu viel Druck haben«, meinte er. Die Ursache für eine Depression liege meist tiefer. »Es beginnt schon im Kindergarten, wenn die Kinder um Anerkennung buhlen und Hänseleien ertragen müssen. Schon da können sich Depressionen entwickeln, die das ganze Leben prägen.« Deshalb reiche es nicht aus, ein paar Sportpsychologen einzustellen. Ein Trainer habe sowieso nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten. Es bedürfe einer langen, umfangreichen Therapie.

Bis der Sport eine Lösung für den richtigen Umgang mit der Krankheit gefunden hat, das hat der Fall Biermann gezeigt, dauert es wohl noch eine Weile. Immerhin: Das Spiel konnte ein wenig finanzielle Hilfe leisten. Und zwar für die beiden fünf und acht Jahre alten Kinder Biermanns, die mit den Einnahmen aus dem Karten- und Fanartikelverkauf unterstützt werden sollen.

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