Laufen, bis er nicht mehr kann

Zweimal beim Doping erwischt, nun wieder schnell wie einst: Justin Gatlin schafft die 100 Meter in 9,77 Sekunden

  • Sebastian Stiekel
  • Lesedauer: 3 Min.
Der überragende Sprinter der Saison heißt Justin Gatlin. In Brüssel lief der Ex-Weltmeister erneut Weltjahresbestzeit über 100 Meter. Gatlin ist wieder genauso schnell wie vor seiner Dopingsperre.

Usain Bolt ist mehrfach fremdgegangen in den letzten Tagen. Der Superstar der Leichtathletik spielte zunächst Cricket in Indien und besuchte dann die US Open im Tennis. Auf der Tribüne in New York bekam er gar nicht mit, dass am Freitagabend in Brüssel eine 9,77 Sekunden kurze Kampfansage an ihn formuliert wurde: Sein Rivale Justin Gatlin lief dort beim Diamond-League-Finale zunächst eine Weltjahresbestzeit über 100 Meter und gewann nur eine Stunde später auch noch den 200-Meter-Lauf (19,71 Sekunden). In dieser Dominanz war das ein fast schon Bolt-reifer Auftritt.

»Das kann ein spektakuläres Rennen werden nächstes Jahr in Peking«, sagte der Amerikaner mit Blick auf die Weltmeisterschaften 2015. Dann will er dem Olympiasieger und Weltrekordhalter aus Jamaika im Alter von 33 Jahren mindestens einen WM-Titel im Sprint abjagen. »Ich habe großen Respekt vor Usain Bolt«, sagte der frühere Weltmeister und Dopingsünder. »Er ist vielleicht der stärkste Rivale, den ich je hatte. Aber ich fühle, dass auch ich es bin, der ihn zu seinen Leistungen antreibt. Ich denke, ich kann ihn schlagen.«

Bolt gegen Gatlin sei mittlerweile das, was früher »Carl Lewis gegen Leroy Burrell war. Oder mein Trainer Dennis Mitchell gegen Leute wie Donovan Bailey. Darum geht es in der Leichtathletik. Solche Rivalitäten wollen die Leute sehen«, sagte der WM-Zweite von Moskau. In dieser Saison fiel das große Duell nur jedes Mal aus. Bolt war die meiste Zeit verletzt, sein jamaikanischer Kronprinz Yohan Blake genauso - und Gatlin nutzte dieses Vakuum, indem er sieben der ersten zehn Plätze in der Weltjahresbestenliste über 100 Meter besetzte. Die 40 000 Dollar Prämie für den Gesamtsieg in der Diamond League strich er nun ebenfalls ein.

Allerdings haben 9,77 Sekunden über 100 Meter für ihn auch eine symbolische Bedeutung, die weit in die eigene dunkle Vergangenheit reicht. Am 12. Mai 2006 lief er diese Zeit schon einmal. Damals, noch lange vor Bolt, bedeutete das die Einstellung des Weltrekords.

Nur zwei Monate später verschwand dieses Rennen aber schon wieder aus den Statistiken: Gatlin wurde zum zweiten Mal des Dopings überführt und als Wiederholungstäter zunächst lebenslänglich, dann für acht und am Ende sogar nur noch für vergleichsweise lächerlich wirkende vier Jahre gesperrt. Mit 32 Jahren ist er nun wieder genauso schnell wie zu seiner großen Zeit als Olympiasieger 2004 und Weltmeister 2005. »Ich bin wieder da, wo ich schon vor acht, neun Jahren war. Das ist wohl die Ironie des Schicksals«, meinte er.

Gatlin löst meist zwei Reaktionen aus: eine gewisse Ehrfurcht ob seines Alters. Und ein großes Misstrauen aufgrund seiner Vergangenheit. Zu den Meetings in Berlin oder Zürich wird er deshalb gar nicht erst eingeladen. Der Amerikaner schafft es, über das Thema Doping zu reden und dabei immer unverbindlich und wolkig zu bleiben. Er habe seine Strafe verbüßt, betont er stets. Alles, was seitdem passiert ist, sei das Ergebnis »harter Arbeit mit meinem Coach«. Der heißt Dennis Mitchell und ist ein früherer Staffel-Partner von Carl Lewis. 1998 wurde auch er der Einnahme verbotener Mittel überführt.

Über sein Alter redet Gatlin viel lieber. Erst in Brüssel erklärte er, am liebsten bis 2020 weitermachen zu wollen. »Die Leute denken: Wenn Athleten älter werden, dann werden sie auch langsamer. Ich will beweisen, dass das nicht so ist«, erklärte er. »Frankie Fredericks stand auch noch mit weit über 30 im olympischen Finale. Ich will so lange laufen, bis ich nicht mehr laufen kann.« Seine Einstellung sei wie die »von Forrest Gump im Film: Ich will nicht alles überanalysieren und überdenken. Ich sage mir: Geh raus und lauf!« dpa

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