Quasi obere Kalbsschnitzelkategorie

Jetzt gute Nachricht: Wolf Haas legt mit »Brennerova« sein neuestes Krimikunststück vor

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 7 Min.

Pass auf, was ich dir sage. Jetzt gibt es schon wieder einen Roman von diesem sprachformverliebten Österreicher, diesem Haas, heißt er. Wolf Haas, 53 Jahre alt, von Haus aus Linguist, dann Werbeagentur, dann Schriftsteller, dann Bestseller. Dem seine Bücher gefallen sogar der Jelinek, und die hat vor zehn Jahren einen Nobelpreis für Literatur bekommen, die kennt sich aus mit Büchern, ja was glaubst du. Du merkst schon, der Haas scheint überhaupt eine richtige Schreibkanone zu sein, quasi nicht nur Sprachkünstler - so mit dings aus literarischer Moderne und Konkreter Poesie und Schmäh und was nicht alles -, sondern auch Vielschreiber. Obwohl er ja selber gerade vor ein paar Tagen einer Zeitung in einem Interview gesagt hat, dass er praktisch mehr der Tüftler und Konstrukteur ist als der reine Textproduzent. »Das bloße Hinschreiben macht nur einen sehr kleinen Teil der Arbeit aus. Neunzig Prozent gehen dann auf das Auswählen, Montieren und Umschreiben drauf«, sagt der Haas. Nur damit du verstehst.

Und da sieht man wieder einmal, wie eine gute Literatur entsteht. Nämlich nicht mit der Gulaschkanonenschöpfkelle und der Rohrzange, sondern mit dem Dessertlöffelchen und der Pinzette. Und einem sauberen Kompositionsprinzip.

Letztes Jahr, also beim letzten Roman (»Die Verteidigung der Missionarsstellung«), da hat man noch gedacht: Jetzt kommt vom Haas bestimmt eine Weile lang nichts mehr. Jetzt sind ihm die Ideen und Frotzeleien und dings ausgegangen, jetzt sind diese Sprachwitze am laufenden Band und die kleinen, lustigen Einfälle für die Linguisten- und Literaturwissenschaftlergemeinde und die zwischendurch eingestreuten Bösartigkeiten und die bizarren Todesarten erst mal für eine gewisse Zeit aufgebraucht. Jetzt hat der Haas sich gewiss ordentlich leergeschrieben und alle seinen skurrilen Abschweifungen vollständig aus sich herausgeschrieben, quasi Schicht im Schacht, aus die Maus.

Aber ob du es glaubst oder nicht. Kaum hat man aus einer gewissen Nachlässigkeit heraus ein paar Wochen lang einmal nicht ganz genau hingeschaut und beim Nachmittagskaffee mal wieder das Feuilleton nicht gründlich gelesen, ist schon wieder ein neues Buch von ihm heraußen. Martin Walser und Rosamunde Pilcher, nichts dagegen.

Pass auf. Du musst wissen, dieses Mal ist es ein neuer Brenner-Roman. Was gewiss viele Leser freuen wird, vor allem aber den Verleger vom Haas. Und nicht zuletzt den Haas selber. Frage nicht. Startauflage 100 000 Stück, liest man. Weil die sogenannten Brenner-Romane vom Haas verkaufen sich aller Erfahrung nach nämlich wie geschnitten Brot während einer fürchterlichen Hungersnot. Bestsellerware Hilfsausdruck. Die Brenner-Bücher sind eine sehr populäre Kriminalromanserie. Und die heißen deswegen so, weil der in ihnen ermittelnde Detektiv, ein wortkarger, dickschädeliger Haudegen, mit Namen »Brenner« heißt. Oder sagen wir besser, weil richtiger: »der Brenner«. Der Brenner war früher bei der Kripo, aber da hat es irgendwann, wie soll ich sagen, ein paar unschöne Sachen gegeben, von denen an dieser Stelle nicht die Rede sein soll, und seither hat er sich als Kriminalermittler selbstständig gemacht, quasi Detektiv aus Berufung.

Aber interessant: Eigentlich klingt ja schon der Schriftstellername »Wolf Haas« wie pfeilgrad ausgedacht. Wenn man diesen Haas nicht schon einmal durch Zufall irgendwo herumsitzen gesehen hätte auf einem Podium oder in einer von diesen brummdummen Literatursendungen im Fernsehgerät, dann könnte man beinahe meinen, den hat sich wer ausgedacht. Weil schon der Name liest sich, als ob hier ein furchtbares Gemetzel angekündigt wird, noch bevor wir überhaupt das neue Brenner-Buch aufgeschlagen und ein Wort darin gelesen haben. »Wolf Haas« - Du verstehst? Da sieht man ja förmlich vor seinem geistigen Auge, wie der große böse Wolf dem kleinen, hilflosen Schnuffelhäschen hinterherjagt, das schon ganz außer Atem ist und in dessen vor Angst geweitete Augen wir schauen müssen. Und wie schließlich die rasiermesserscharfen Reißzähne des Untiers erbarmungslos in das kuschlige kleine warme weiche Ding schlagen, dass die daumendicken Blutfontänen nur so aus dem possierlichen Häslein herausspritzen. Tarantino nichts dagegen. Exploitationfilm Hilfsausdruck.

Aber wie gesagt: Da haben wir mit dem Lesen noch gar nicht angefangen, sondern nur ein wenig über den Autornamen nachgedacht.

Zuerst denkt man ja: der Brenner mal wieder. Das ist eben dieser schon ein wenig aus dem Leim gegangene, ein wenig abgehalfterte, zerknitterte Detektivkauz, mit dem wir jetzt schon durch Puntigam und diese ganzen anderen ebenso unwirtlichen wie unaussprechlichen österreichischen Gegenden gestapft sind und den wir seit zwanzig Jahren durch insgesamt sieben Romane begleitet haben, inklusive Kopfschmerzen, Krankenhausaufenthalte, Schlägereien usw., ja was glaubst du. Ich meine jetzt: Der Brenner hatte die Kopfschmerzen und die Krankenhausaufenthalte usw., nicht wir, die Leser. Wir sind ja derweil im Sofa gesessen. Mit dem Buch in der einen und einem Brunello di Montalcino in der anderen Hand.

Eigentlich ist der Brenner ja jetzt auch im Pensionistenalter. »Was andere Männer schon mit dreißig erleben, dass sie einen Bauch kriegen und träge werden und während dem Sex schon ans Abendessen danach denken, das ist jetzt auf die alten Tage auch dem Brenner passiert.« Jetzt was soll ich sagen, schon allein von seiner ganzen ding her müsste er keine Fälle auf eigene Faust mehr lösen und keine Mülltonnen mehr durchwühlen auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem. Schon allein weil er jetzt mit der Herta zusammengekommen ist, einer pensionierten Lateinlehrerin. Aber du darfst eines nicht vergessen. Der Brenner ist nun mal der Brenner, und ein altgedientes Zirkuspferd macht seine Runden, solange der Abdecker nicht vorbeikommt. Und du weißt ja, die Krimilandschaft, also die deutschsprachige jetzt, ist eine derart trostlose und humorbefreite, wo man sagen muss, Kriminalerzählung schön und gut, aber bei den meisten Autoren wäre ein Minimum an sprachlicher Raffinesse und Feinarbeit an der Erzählform auch nicht schlecht, wenn du jetzt verstehst, was ich meine. Heut’ glaubt ja ein jeder schon einen Krimi zusammenschreiben zu können, weil er einmal einen Derrick gesehen hat, sprich fehlende Qualitätskontrolle. Wenn wer einen Hunger auf ein schönes Kalbsschnitzel hat, ist er ja auch enttäuscht, wenn da nur so ein schlecht paniertes Katzenfutter vor ihm auf dem Teller liegt.

Was ich sagen will: Der Haas schreibt eindeutig nicht in der unteren Leberkäs-, sondern in der oberen Kalbsschnitzelkategorie, ganz klare Sache. Da gibt es kein Vertun. Sprich das Gegenteil von einem, wo nur oberflächliche Handlung und blabla und alles. Obwohl ich ganz ehrlich sagen muss, der Plot ist im neuen Brenner-Roman in einem Milieu angesiedelt, wo man sagen würde: Das allerneueste Modell ist das jetzt auch wieder nicht. Rotlichtbezirk, Zuhältermilieu, Frauenhandel, Osteuropa, Zwangsprostitution, Mafia, fachmännisch abgetrennte Körperteile, in der Richtung. Geografisch bis in die Mongolei hinein, frage nicht. Aber jetzt gute Nachricht: Unter reinen Stilaspekten muss man sagen: Hut ab, einwandfrei. Weil sichere Handhabung der schriftstellerischen Form bei gleichzeitiger Originalität und alles.

Weil du darfst eines nicht vergessen: Der Haas macht diese Sache sehr geschickt. Da gibt es gar nichts. Seinen Erzähler lässt er, wie immer, drauflosparlieren und -palavern, dass einem beim Lesen vorkommt, dass man mit dem Erzähler bei einem Glaserl Wein an einer Theke sitzt und hochgespannt seiner neuesten Schnurre zuhört. Der Erzähler ist wie immer per Du mit dir und schwatzt in einem fort ganz unbefangen und familiär auf dich ein, du weißt schon. Dabei ist in Wirklichkeit alles mindestens so durchkonstruiert wie das Grazer Mausoleum oder der Pont du Gard. Sodass du am Ende fast glaubst, das Artifizielle ist das Natürlichste von der Welt. Das musst du dir einmal vorstellen. Soll heißen: Bevor man als Leser zweimal schaut, ist man schon wieder drin in diesem Haas’schen Erzählersound, diesem Sprachmanierismenkosmos, in den man sich quasi als Leser widerspruchslos am Gängelband hineinzerren lässt. Aber weißt du, was ich glaube? Dass das beim genauen Hinschauen den Erfolg ausmacht beim Haas, quasi Spezialmethode.

Wolf Haas: Brennerova. Verlag Hoffmann und Campe. 239 Seiten. 20,60 €.

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