Fast alles durcheinander

Vorige Woche war ein Staatssekretär in größte Schweinereien verwickelt. Im Münchner »Tatort« ist es nun wieder ein Staatssekretär gewesen. Matthias Dell fragt sich: Hat die Koordination geschlafen - oder ist das schon

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine alte Redakteursweisheit heißt: Die Mischung muss stimmen. Sie betrifft die Zeitung, einen begrenzten Raum, gilt aber auch für die Idee von Fernsehprogramm, die der »Tatort« vorstellt - eine Reihe von ähnlichen Filmen, die fad würden, wenn sie sich zu ähnlich wären. In der letzten Woche war im Luzerner Gustl-Mollath-Aufguss »Verfolgt« ein Staatssekretär in größte Schweinereien (Offshore-Steuerbetrug) verwickelt. Nun ist im Münchner »Tatort: Der Wüstensohn« ein Staatssekretär in größte Schweinereien (Waffengeschäfte mit prekären Regimen) verwickelt. Die Frage lautet: Hat nur die »Tatort«-Koordination geschlafen oder ist das schon ein Trend?

Wir würden zuerst immer auf die Koordination zeigen. Die beliebte ARD-Reihe lebt von ihrer Vielfältigkeit - wie soll man die Planungen von relativ komplexen Unternehmungen wie 90-minütigen Filmen durch die Verwaltung von 11 Sendern (9 ARD-Anstalten, plus SRF und ORF) an, so breit getreten ist der Sonntagabendkrimi mittlerweile, 26 Schauplätzen (»Tatort«: 22, »Polizeiruf«: 4) vollends aufeinander abstimmen können?

Dass in beiden Fällen Staatssekretäre korrupte Politik repräsentieren, spricht noch nicht dagegen. Der Staatssekretär ist für den mit der Realität allenfalls kokettierenden Kriminalfilm die ideale Politikergestalt: Mächtig genug, um als Macher durchzugehen, im richtigen Leben aber zu unbekannt, um Ähnlichkeitszwänge aufzuerlegen - bei einem Minister würde man sich immer schon fragen, ob der nicht was mit dem jeweiligen Amtsinhaber zu tun haben müsste. (Sollte beim Staatssekretär doch mal jemand nachdenken, kann man auf Ludwig-Holger Pfahls als Rolemodel kommen, einen Sympathieträger aus der Kohl-Ära, der es bis ins Gefängnis geschafft hat.)

Andererseits - und nun endlich zum aktuellen Fall »Der Wüstensohn« - lesen Oberverantwortliche (BR-Redaktion: Stephanie Heckner) und Drehbuchautoren (Alexander Buresch, Matthias Pacht) auch Zeitung und im Internet. Die Verwicklung des Staatssekretärs im Münchner Fall (gespielt von Philipp Moog, der im späten »Derrick« deviante Jugend verkörperte) folgt wie in Luzern einfacher Korruptionsarithmetik (zu einer gewissen Form von Großschweinerei gehört eben bestimmtes Personal). Ob der zweimalige Staatssekretär schon Vorhut einer »Die da oben«-Skepsis ist, wie AfD und Nichtwählertum sie aktualisieren, muss man beobachten.

Sonst ist im »Wüstensohn« der Franz (Udo Wachtveitl), beim letzten Mal im Mai noch schwerstverwundet, kommentarlos wieder wohlauf; das ist der Unterschied zwischen Reihe und Serie. Die Geschichte von sich im Schutze der Immunität daneben benehmendem Diplomatenanhang wird hier beschleunigt auf den borderlinenden Emir-Sohn Nasir (Yasin el Harrouk), der sicherheitshalber einen Fantasie-Staat vertritt, damit es nicht zu echten diplomatischen Verwicklungen kommt. Im Hintergrund tarnt sich das Waffengeschäft als U-Bahn-Bau, vorne tobt das koksend-pralle Leben mit Entourage, die Brüste vorzeigt (Katharina Benesch) und auch mal Schießübungen macht (adäquat: Wilson Gonzales Ochsenknecht).

Außerdem gibt es noch brave Elite-Studenten (der Tote) und die wahre Liebe Michaela (Morgane Ferru), aber am interessantesten bleibt der Emir-Sohn, der zwischen Kanak-Sprak-Aggressor und einem Wilhelm Meister unserer Tage pendelt, also einer klassischen Bildungsromanfigur, die aus dem Käfig von Reichtum, Tradition und daraus abgeleitetem Weltzweifel nicht herauskommt. Am Ende wird die Folge darüber so sehr von Gefühl übermannt, dass sie sich melancholisch in Yasmine Hamdans Song »Aleb« kuscheln muss.

Kurz, es geht fast alles durcheinander in »Der Wüstensohn« (Regie: Rainer Kaufmann), und darin besteht der Spaß. Dieser »Tatort« weiß manchmal, dass er im Grunde ein großer Quatsch ist. Was einigermaßen erträglich macht, dass natürlich kein »Araber« im deutschen Fernsehfilm auftreten kann, ohne dass jemand »Kameltreiber« sagt; selbst so ein Elder-Statesman-Charakter wie der Ivo (Miro Nemec) kriegt dann sofort Klischee. Die Asthmatiker der »Inkorrektheit« können einmal tief durchatmen, aber sonst reißt man damit naturgemäß: nichts.

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