Nur genehmigte Kandidaten, die China lieben

Massenproteste von Studenten gegen Pekinger Regeln für die erste Wahl einer Regierung in Hongkong

  • Lutz Pohle, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.
Tausende Studenten der Chinesischen Universität in Hongkong haben den Boykott der Lehrveranstaltungen ausgerufen. Sie protestieren gegen das neue Wahlgesetz.

Für das Jahr 2017 sind Wahlen im chinesischen Hongkong, die einstige britische Kronkolonie, angesetzt. Der am Montag begonnene einwöchige Studentenstreik ist nur ein Teil des Widerstandes gegen die dafür festgeschiebenen Regeln. Andere Teile der Protestbewegung rufen nach dem Vorbild der »Occupy Wall Street« in New York zur Besetzung des zentralen Finanzdistriktes in Hongkong auf. In Hongkong heißt dieser Bezirk Central und »Occupy Central« ist bereits zum Synonym für die Protestbewegung gegen das Wahlgesetz aus Peking geworden.

Enttäuscht sind die Demokratiebefürworter vor allem, weil die Kandidaten, die sich zur Wahl stellen, zuerst in Peking genehmigt werden müssen. Zu den Auswahlkriterien wird in dem Wahlgesetz nur festgeschrieben, dass die Kandidaten für den Chefposten in der chinesischen Stadt Hongkong ihr »Vaterland und Hongkong lieben« müssen.

Am 31. August dieses Jahres hatte der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongress in Peking das Wahlgesetz für Hongkong verabschiedet. Dieses Gesetz geht zurück auf die Vereinbarung zwischen der Volksrepublik und Großbritannien, das die Kronkolonie im Jahre 1997 an Peking zurückgegeben hatte. Darin ist die Formel »ein Land, zwei System« festgeschrieben. Sie sieht unter anderem eine sehr weitgehende wirtschaftliche und politische Autonomie Hongkongs im politischen und wirtschaftlichen System Chinas vor. Lediglich Verteidigung und Außenpolitik werden komplett in Peking entschieden.

Die Autonomievereinbarung sieht auch vor, dass schrittweise der Übergang zu demokratischen Strukturen in Hongkong vollzogen werden soll. In diesem Rahmen wird es im Jahre 2017, also genau 20 Jahre nach der Rückgabe, die ersten allgemeinen und freien Wahlen für die Stadtregierung geben. Unter der britischen Verwaltung wurde der Gouverneur 150 Jahre lang von der Queen und London eingesetzt. Die Bewohner Hongkongs wurden überhaupt nicht gefragt.

Nach der Rückgabe an China wurde der Regierungschef der »Sonderverwaltungszone« der Volksrepublik China genannten Stadt erst von Peking berufen, später von verschiedenen, mehr oder weniger demokratisch legitimierten Gremien in Hongkong ausgewählt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen in der Stadt. Zum ersten Mal in der Geschichte sollen alle Bewohner ihre Regierung frei und demokratisch wählen.

Dabei sieht die Zentralregierung in Peking in dem Wahlgesetz die Bestätigung und Fortschreibung des »Basic Law«. Das ist das Hongkonger Grundgesetz, das die Stellung der Stadt im politischen System der Volksrepublik und ihre grundsätzlichen Institutionen und die Formel »Ein Land, zwei Systeme« festlegt.

Die Einheit des Vaterlandes, so ein Kommentator in der amtlichen englischsprachigen Zeitung »Global Times«, habe für China oberste Priorität. Peking könne und werde niemals einen Regierungschef in Hongkong akzeptieren, so heißt es, der etwa für die Unabhängigkeit der Stadt von der Volksrepublik China eintrete. Allgemeine und freie Wahlen verkörpern demnach die im Basic Law enthaltenen »zwei Systeme«, denn solche Wahlen sind bislang auf dem chinesischen Festland außerhalb Hongkongs nicht üblich.

Chinas Präsident Xi Jinping hat bei einem Treffen mit den Hongkonger Geschäftsleuten diese Haltung bekräftigt. Gegenüber der vom früheren Chief Executive der Stadt Tung Chee-hwa geführten Delegation, der die einflussreichsten Wirtschaftsführer aus Hongkong, darunter mit Li Ka-hsing und Cheng Kar-shun die reichsten Männer der Stadt angehören, unterstrich er das vorrangige Interesse der Zentralregierung an der Stabilität Hongkongs.

In der chinesischen Presse wird bereits darauf hingewiesen, dass das Vertrauen in die politische Stabilität wichtigste Voraussetzung für die weitere wirtschaftliche Prosperität Hongkongs sei. Die Proteste wollen jedoch nicht aufhören. Gegner des Wahlgesetzes haben weitere fantasievolle Aktionen angekündigt.

Die Regierung in Peking setzt nun alles daran, die Protestbewegung klein zu reden. Solche Aktionen wie der Studentenstreik und »Occupy Central« würden das Vertrauen untergraben und damit letztlich Hongkong selbst schaden, heißt es übereinstimmend in den Kommentaren. Deshalb fänden diese Aktionen auch nur geringe Resonanz unter den Bewohnern der Stadt, dafür aber umso größere in ausländischen - sprich westlichen - Medien. Insbesondere Großbritannien wirft die Regierung in Peking vor, seine privilegierte Stellung in Hongkong zu missbrauchen, um eigene Interessen zu verfolgen.

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