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Zwischen den Zeilen des Vertrags

LINKE-Landeschef Görke sieht dem Mitgliederentscheid über Rot-Rot optimistisch entgegen

Die Stimmung ist nach der verhagelten Landtagswahl nicht rosig, aber dennoch spricht für viele Sozialisten nun wenig gegen die Fortsetzung von Rot-Rot. Das zeigte sich auch bei einer Aktivenkonferenz.

»Ich habe ein gutes Gefühl«, sagte der Landesvorsitzende Christian Görke am Sonnabend. Am 14. Oktober startet der Mitgliederentscheid der brandenburgischen LINKEN über den neuen Koalitionsvertrag mit der SPD. »Ich denke, es kann ein deutliches Votum sein«, schätzte Görke in der Mittagspause einer Aktivenkonferenz. Auf einen Prozentwert der Zustimmung wollte er sich allerdings nicht festlegen. Im Potsdamer Tagungshaus »Blauart« informierte die Verhandlungsgruppe über die Verhandlungsergebnisse.

Jeder Genosse durfte in den Saal - andere durften das nicht und Journalisten nur kurz, um Fotos zu machen. Christian Görke habe diese Beschränkungen genutzt, um ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern, verrieten Konferenzteilnehmer. Auf den Hinweis, dies oder jenes lieber nicht zu offenbaren, soll er abgewunken haben: »Wir sind ja unter uns.« So konnte der Parteichef Details aus den Gesprächen mit der SPD erzählen und auch schildern, wie um bestimmte Punkte gerungen wurde. Es bestand ja nicht die Gefahr, dass dies dann gleich in den Zeitungen steht. Bei Görkes Zuhörern kam das gut an. Einige lobten draußen auf dem Flur, dass sie sich diesmal während der Koalitionsverhandlungen und danach besser informiert fühlten und fühlen als vor fünf Jahren, als erstmals in Brandenburg eine rot-rote Landesregierung gebildet wurde.

»Wir haben viel Zustimmung bekommen«, berichtete Görke. »Obwohl wir natürlich wissen, dass wir auch Kompromisse machen mussten.« Bei der Konferenz seien Formulierungen hinterfragt worden. So wollte die Basis beispielsweise wissen, warum das Wort Gemeinschaftsschule im Koalitionsvertrag nicht auftaucht und auch nicht das Jahr 2040 als Ausstiegsdatum für die Braunkohleverstromung. »Es haben zwei am Tisch gesessen. Dafür, dass wir die Wahl nicht gewonnen haben, haben wir viel reinverhandelt«, findet Verhandlungsführer Görke. »Darauf können wir stolz sein.«

Das Fenster für die Braunkohle schließe sich, heißt es. Längeres gemeinsames Lernen werde ermöglicht. Dies sei doch die Hauptsache, auch wenn die ersehnte Gemeinschaftsschule nun Schulzentrum genannt werde. Man müsse zwischen den Zeilen lesen. Einzelne Genossen bleiben jedoch skeptisch: Wenn sich in solchen Schulzentren nur Grundschulen und Oberschulen zusammenschließen sollten, Gesamtschulen und Gymnasien, die das Abitur anbieten, aber nicht mitmachen würden, dann sei der angestrebte Zweck verfehlt. Dann gehe es lediglich darum, in immer dünner besiedelten Regionen Schulstandorte zu retten, so wie am Beispiel der Stadt Guben erläutert. Dies allein wäre ehrenwert, aber nicht der pädagogischen Idee der Gemeinschaftsschule verpflichtet.

Für Unbehagen sorgt, dass dem Geheimdienst im Koalitionsvertrag glorifizierend bescheinigt wird, einen »wichtigen Beitrag« zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu leisten. »Der Verfassungsschutz ist seit Bestehen unseres Landes stärker als anderswo in die demokratischen Strukturen integriert«, wird da behauptet. »Sein Auftrag richtete sich von Anfang an vor allem auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus.« Wie Hohn klingt dies angesichts der neofaschistischen Terrorgruppe NSU. Der NSU-Skandal berührte schließlich auch den brandenburgischen Verfassungsschutz, so dass die Bundestagsabgeordnete Petra Pau (LINKE) schon fragte, warum der Landtag nicht auch einen Untersuchungsausschuss einsetzt. Befremdlich wirken die Sätze außerdem angesichts der Ausspähung der linken Szene in Potsdam. »Die Sozialdemokraten wollten den Verfassungsschutz loben«, bedauerte Görke. »Wir wollen ihn langfristig nicht mehr im Repertoire der Sicherheitspolitik haben. Das war ein Spagat.« Immerhin steht im Vertrag, dass die Koalition eventuelle Erkenntnisse des Münchner NSU-Prozesses berücksichtigen werde.

Greenpeace ist seit Jahren bei praktisch jeder halbwegs bedeutenden Parteiveranstaltung vor Ort. Am Sonnabend standen Aktivisten der Umweltorganisation vor dem Tagungshaus. Auf Transparenten forderten sie ein Moratorium für die Braunkohle. Zumindest für den geplanten Tagebau Jänschwalde-Nord ist im Koalitionsvertrag angedeutet, dass Ende 2015, wenn sich der Bund zu Rahmenbedingungen der Energiewende geäußert hat, noch einmal neu nachgedacht wird. Das ist beinahe ein Moratorium.

Insgesamt sind die Genossen zumeist positiv überrascht, wie zuvorkommend die SPD offenbar gewesen ist beziehungsweise wie viel sie sich hat abringen lassen. So kommt es, dass einige mit einer Zustimmung zum Koalitionsvertrag von um die 75 Prozent rechnen. Das bedeutet aber nicht, dass die Diskussion über das schlechte Ergebnis bei der Landtagswahl aufhört. Das werde noch monatelang analysiert, erwartet der stellvertretende Landesvorsitzende Sebastian Walter.

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