Hunderttausende Unterschriften gegen TTIP

Aktionen in ganz Europa / Franzosen sorgen sich besonders um Kultur und Ernährung

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
In ganz Europa gingen am Wochenende Menschen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA auf die Straße. Unter anderem sammelten sie rund 250 000 Unterschriften.

Tausende Menschen haben in ganz Deutschland am Samstag im Rahmen des europaweiten Aktionstages zur Abwehr der Freihandelsabkommen TTIP und CETA zwischen der Europäischen Union und den USA beziehungsweise Kanada demonstriert. In Freiburg, Hamburg, Berlin, Erfurt, Stuttgart und weiteren Städten folgten sie den Aufrufen von Umweltverbänden, Verbraucherschützern, Globalisierungskritikern und Gewerkschaften.

Insgesamt riefen über 250 Organisationen in 23 EU-Mitgliedsstaaten zu Protesten auf. An 3700 Orten seien überdies rund 250 000 Unterschriften für die europaweite Petition »Stop TTIP« gesammelt worden, schrieb Christoph Bautz, Mitbegründer von Campact, auf der Website der Nichtregierungsorganisation. Das Ziel, eine Million Unterschriften zu sammeln, sei zur Hälfte erfüllt, so Bautz.

In Frankreich fanden mehr als 60 Kundgebungen und andere Protestveranstaltungen in Paris und weiteren Großstädten statt. Sprecher von Attac und anderen Organisationen, die sich gegen das Abkommen engagieren, werfen der französischen Regierung und den großen Parteien - sowohl der linken Regierungskoalition als auch der rechtsbürgerlichen Opposition - vor, aus Furcht vor Widerspruch bewusst über das Freihandelabkommen zu schweigen. Auch die Medien berichteten zu wenig über dieses Thema. »Darum ist die Mobilisierung noch weit hinter dem zurück, was sich 2005 gegen die EU-Verfassung abgespielt hat«, stellt Olivier Dartigolles, Sprecher der Kommunistischen Partei, fest, »aber immerhin ist die Anti-TTIP-Front bereits breiter als der ›Harte Kern‹ der üblichen Aktivisten solcher Kampagnen.« Inzwischen engagieren sich in Frankreich mehr als 50 Bürgervereinigungen, Gewerkschaften sowie Bauern- und andere Berufsverbände gegen die »Geheimverhandlungen, mit denen ultraliberale Kräfte auf beiden Seiten des Atlantik die Demokratie unterlaufen, den öffentlichen Dienst privatisieren und letztlich unser Gesellschaftsmodell zerschlagen wollen«, sagte ein Redner auf der Kundgebung auf dem Pariser Place Stalingrad.

Um den Besorgnissen entgegenzutreten, hat der französische Außenhandelsstaatssekretär Matthias Fekl am Vorabend des Aktionstages versichert, dass es hinsichtlich der kulturellen Vielfalt, des öffentlichen Dienstes, von Film, Funk und Fernsehen sowie von Landwirtschaft und Ernährung »rote Linien« gibt, die zu verletzen die französische Regierung »nicht zulassen« werde. Die Regierung habe auch die Forderung besorgter Kreise der Bevölkerung über die Geheimhaltung des Verhandlungsmandats der EU-Vertreter aufgegriffen, sie engagiere sich für mehr Transparenz und begrüße die jüngste Ankündigung aus Brüssel, das Mandat publik zu machen, versichert der Staatssekretär.

Auf den Veranstaltungen gegen das TTIP-Abkommen konzentrierten sich die Diskussionen vor allem auf zwei Gebiete, die den Franzosen besonders am Herzen liegen und die sie daher vorrangig abgesichert sehen wollen - die Kultur und die Ernährung. Sie misstrauen den offiziellen Zusagen, dass die Kultur aus dem Freihandelsabkommen ausgeklammert werde. Nur zu oft haben sie erlebt, wie US-amerikanische Konzerne wie Amazon, Google oder unlängst Netflix aggressiv auf dem französischen Markt Fuß gefasst haben, ohne sich um hier geltende Vorschriften über Urheberrechte, Datenschutz oder Steuerpflicht zu scheren. Die durch die Krise bereits schwer angeschlagene französische Buchhandels- und Verlagslandschaft wäre in ihrer Existenz bedroht, wenn es den Freihandelsaktivisten gelänge, die Buchpreisbindung auszuhebeln, und ebenso wäre der französische Film bedroht, wenn das System der durch eine Kinokartenabgabe finanzierten Produktionsbeihilfen zerschlagen würde.

Auf dem Gebiet von Landwirtschaft und Ernährung gibt es in Frankreich eine machtvolle Bewegung gegen gentechnisch veränderte Pflanzen, die bisher jegliche Lockerung des gesetzlichen GMO-Verbots verhindern konnte. Die französischen Landwirte und Winzer haben aber auch seit Jahren schlechte Erfahrungen mit den Versuchen der neoliberalen Konkurrenz aus den USA gemacht, beispielsweise Käse aus nicht pasteurisierter Milch mit durchsichtigen Hygieneargumenten verbieten zu lassen oder die Vorschriften über die Herkunft und die natürliche Produktion von Weinen, mit denen deren Qualität gesichert wird, zu unterlaufen.

Die Räte der Regionen Ile-de-France und Provence-Alpes-Côte d'Azur sowie die Kommunalvertretungen von mehr als 70 Städten und Gemeinden haben die Anwendung eines eventuellen TTIP-Abkommens auf ihrem Territorium untersagt. Diese symbolischen Beschlüsse haben zwar keine Rechtskraft, aber sie sollen mithelfen, die Regierung zum Verzicht auf die Beteiligung an den TTIP-Verhandlungen zu bewegen.

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