Im Blutkreislauf

Die 23. »dokumentART« in Neubrandenburg

  • Hans-Günther Dicks
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit »The Voice of Peace«, einem arg konventionell gemachten, überlangen Film über den Radiopiraten und Friedensaktivisten Abie Nathan, hatte es begonnen, doch dann folgte eine Entdeckung auf die andere bei der gestern Abend beendeten 23. »dokumentART« (dokART) in Neubrandenburg. Gerade so, als hätte die neue Festivalleiterin Heleen Gerritsen auch gleich frischen Wind in die hübsche Kinokirche des Latücht e.V. geblasen. Die Macher der 40 um die Preise konkurrierenden Filme sind durchweg jung, haben erkennbar eigene Handschriften - und fast alle reisen gern und oft in exotische Gegenden. Dass dabei auch manch Eitles und Überflüssiges entsteht, kann nicht überraschen, fand aber im diesjährigen dokART-Programm erfreulich geringen Niederschlag.

Die Russin Alina Rudnitskaya zum Beispiel folgt in »Blut« dem Team einer mobilen Blutspendestation quer durch ihr Land und fängt dabei Bilder ein, die Bände sprechen: Warteschlangen mit Menschen ganz ohne Spenderpose, die oft ohne die 18 Rubel Entgelt kaum über den Tag kommen, aber auch von Medizinpersonal, das die täglichen Elendsbilder nur mit reichlich Alkohol ertragen kann. Dafür gab es den mit 5000 Euro dotierten Latücht-Preis. Nur auf eine Lobende Erwähnung kam der junge Niederländer Guido Hendrikx, der auf ähnliche Weise im eigenen Land fündig wurde. In »Escort« beobachtet er junge Militärpolizisten, die in einem Kurs auf ihre neue Aufgabe vorbereitet werden: Sie sollen »auf möglichst humane Art« abgelehnte Asylbewerber bei der Abschiebung in ihre Heimatländer begleiten. Von den Abgeschobenen sind nur Hilferufe und Schluchzen zu hören, aber Hendrikx‘ unverwandter Blick in die Gesichter seiner beiden Hauptfiguren Fay und Jordan macht deutlich, wie sehr humaner Anspruch und Wirklichkeit aus einander klaffen. Das muss auch den Behörden aufgegangen sein, denn sie gestatteten dem fertigen Film nur noch Aufführungen auf Festivals.

Auf scharfer Beobachtung und gründlicher Recherche beruht auch »Zement« der Berliner Dokumentarfilmer Dirk Peuker und Bettina Nürnberg. Sie entdeckten mitten in der Idylle des Salzkammerguts einen Waldweg, der einst »Löwenpfad« genannt wurde, weil auf ihm KZ-Häftlinge des Außenlagers Ebensee (Codename: Zement) zur Arbeit in den Steinbruch getrieben wurden; die Bewohner der schmucken Villen, die bald nach 1945 auf dem Gelände des KZ gebaut wurden, wollen daran nicht erinnert und nicht gefilmt werden oder loben gar die Qualität ihrer unter dem einstigen Krematorium gedeihenden Kartoffeln. »Wir wollten nicht auf Zusagen von Förderern oder Sendern warten und haben deshalb mit einer Fotokamera gedreht«, erklärte Peuker im Filmgespräch.

Unter weit besseren Bedingungen entstand »Majubs Reise« von Eva Knopf. Als Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft konnte sie ungewöhnlich gründlich recherchieren und auf Archivmaterial zugreifen. Ihre Titelfigur Majub, der eigentlich Mohamed Husen hieß, hatte wie sein Vater als Askari in den deutschen Kolonialtruppen im heutigen Tansania gedient, bevor ihn die UFA als schwarzen Kleindarsteller entdeckte. Kleindarsteller war er auch bei einem Denkmal in Hamburg, dessen Hauptfigur der Kolonialherr und Reichskommissar Hermann von Wissmann war und das erst rebellierende Studenten in den 1970er Jahren vom Sockel holten. Der Findling-Preis, den die Juroren der Regisseurin zusprachen, wird ihr Meisterstück wenigstens auf der Tournee durch Mecklenburg-Vorpommern bekannter machen.

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