Konzerne raus aus der Kommission

Atomkraftgegner halten Vertreter der Atomunternehmen für ungeeignet, an der Endlagersuche teilzunehmen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
AKW-Betreiber klagen gegen den Atomausstieg. Umweltschützer fordern, dass sie ihre Plätze in der Endlagersuchkommission räumen.

Umweltschützern reicht es: Weil die großen Energiekonzerne und AKW-Betreiber mit milliardenschweren Klagen gegen den Atomausstieg und das Standortauswahlgesetz vorgehen, hätten deren Vertreter nichts mehr in der Endlagersuchkommission zu suchen.

Das Standortauswahlgesetz für ein Lager hoch radioaktiver Abfälle trat 2013 in Kraft. Die 33-köpfige Kommission, die die eigentliche Suche vorbereiten soll, wurde im April 2014 berufen und kam im Juni erstmals zusammen. Seither hat sie viermal getagt, sich dabei aber vor allem mit sich selbst beschäftigt. Diskussionen über die Tagesordnung und ein Leitbild standen im Mittelpunkt. Die Reihen der Unions-Vertreter haben sich bereits stark gelichtet. Bei der bislang letzten Sitzung am 22. September fehlten Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, sein sachsen-anhaltischer Amtskollege Reiner Haseloff (beide CDU) und der CSU-Landtagsabgeordnete Marcel Huber.

Klagen über Klagen

Nach der Katastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 verkündete eine geschockte Bundeskanzlerin in aller Eile den Atomausstieg bis 2022. Dabei hatte sie aber die Rechnung ohne die Energiekonzerne gemacht. So wurde gerade bekannt, dass Vattenfall Deutschland wegen der beschlossenen Stilllegung der Meiler vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington verklagt. 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz fordert der schwedische Staatskonzern. In Fachkreisen werden dem Unternehmen gute Chancen eingeräumt.

Aber auch die deutschen Konkurrenten, denen die Klagemöglichkeit vor einem internationalen Schiedsgericht verwehrt bleibt, halten mit Forderungen nicht hinter dem Berg: E.on will von der Bundesregierung 380 Millionen Euro für das dreimonatige Atommoratorium im März 2011 ersetzt haben. Dabei geht es um entgangene Gewinne wegen der Abschaltung der AKW Unterweser und Isar 1. Beide Reaktoren gingen anschließend nicht wieder ans Netz. Zuvor hatte schon RWE eine Schadenersatzklage in Höhe von 235 Millionen Euro wegen der Abschaltung des AKW Biblis eingereicht, das nach dem dreimonatigen Moratorium ebenfalls stillgelegt worden war.Zudem haben RWE und E.on eine grundsätzliche Verfassungsbeschwerde gegen den Atomausstieg eingelegt – der geforderte Schadenersatz könnte eine zweistellige Milliardenhöhe erreichen.Auch um die Endlagersuche gibt es juristisches Tauziehen: So will sich E.on unter anderem nicht an den Kosten für die geplante Unterbringung von 26 Castor-Behältern aus ausländischen Wiederaufbereitungsanlagen beteiligen. Diese sollen statt im niedersächsischen Salzstock Gorleben in der Nähe der betreffenden AKW aufbewahrt werden, um in Gorleben keine neuen Fakten für ein Endlager zu schaffen. E.on argumentiert, dass es für Gorleben eine gültige Einlagererlaubnis gebe und andere Lager unnötige Zusatzkosten bedeuteten. Der Konzern klagt gegen die Länder Niedersachsen, Bayern und Schleswig-Holstein, in denen die Kraftwerke stehen. »Da die alternative Zwischenlagerung ausschließlich politisch motiviert ist, müssen die dadurch verursachten Kosten vollständig vom Staat getragen werden«, sagte ein E.on-Sprecher.
RWE geht ebenfalls gegen die Schließung Gorlebens im Zuge des Atomausstiegs vor. Die RWE Power AG reichte Ende vergangener Woche Klage in den drei Bundesländern ein, wo an ihren Atomkraftwerken die Zwischenlager teuer nachgerüstet werden müssten. Die Klage betrifft die Standorte Biblis (Hessen), Gundremmingen (Bayern) und Emsland (Niedersachsen). Auch Vattenfall prüft nach eigenen Angaben ein juristisches Vorgehen gegen die standortnahe Atommüllunterbringung. EnBW, der nach E.on und RWE drittgrößte deutsche Energiekonzern, ist komplett in öffentlicher Hand und hat bisher keine Klagen angekündigt. grg

 

Klagen der Atomkonzerne E.on und RWE richten sich unter anderem gegen Änderungen im Atomgesetz, die der Bundestag im vergangenen Jahr im Paket mit dem Standortauswahlgesetz beschlossen hatte. Die Unternehmen wollen damit erreichen, dass auch die noch ausstehenden 26 Castorbehälter mit hoch radioaktivem Müll aus ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen in Gorleben eingelagert werden. Oder dass der Staat die Kosten für die Umrüstung AKW-naher Zwischenlager trägt. Gorleben war im Gesetz als Ziel der Behälter ausgeschlossen worden, bislang gibt es aber keine Einigung, wohin die Castoren alternativ rollen sollen.

Die Klageflut der Atomkonzerne zeige, dass sie nur ihr Profitinteresse im Blick hätten, sagt Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Er frage sich deshalb, »was die beiden Vertreter der Atomkonzerne, Gerd Jäger und Bernhard Fischer, unter diesem Vorzeichen in der Endlagerkommission verloren haben«. Jäger war seit 1977 für RWE tätig und fungiert immer noch als »Berater« des Konzerns. Fischer ist altgedienter E.on Manager, derzeit mit Sonderaufgaben im Konzern betraut. Er rückte erst im Juli für den E.on-Chef und Präsidenten der Lobbyorganisation Deutsches Atomforum, Ralf Güldner, in die Kommission nach.

Unabhängig von der grundsätzlichen Skepsis vieler Bürgerinitiativen gegenüber der Kommission bleibt Ehmke zufolge festzuhalten: »Die Konzernvertreter sind keine zivilgesellschaftlichen, sondern Konzernvertreter, und wenn sie einen Funken Anstand besitzen, sollen sie ihren Platz räumen.« Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt« sieht das genauso. E.on und RWE hätten mit ihren Klagen »quasi den Verhandlungstisch verlassen«, sagt er.

Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne), selbst Kommissionsmitglied, fordert zwar nicht den Rücktritt der Konzernvertreter aus dem Gremium. Die Klagewelle von E.on & Co. müsse aber ein Fall für die Kartellbehörden werden. »Bei den vielen Klagen handelt es sich offensichtlich um eine konzertierte Aktion, die den Staat unter Druck setzen soll«, so Wenzel. »Das Bundeskartellamt muss diesen Vorgang untersuchen.« Den Konzernen gehe es nicht um Rechtsschutz, sondern um »eine ganz gezielte politische Intervention«. Dies sei eindeutig »Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung«.

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