Boykott gegen Boykott

Niedersachsen: Lehrer streichen Klassenfahrten, Schüler wollen Tafeln nicht mehr wischen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Gymnasiallehrer in Niedersachsen setzen aus Protest gegen Mehrarbeit Klassenfahrten aus - dagegen protestieren nun ihrerseits Schüler und deren Eltern.

Weil sie eine Stunde pro Woche länger arbeiten sollen, haben viele Gymnasiallehrer in Niedersachsen die Klassenfahrten gestrichen. Die Schüler beharren aber auf den Ausflügen und kündigen jetzt ihrerseits Boykottaktionen an.

Die rot-grüne Landesregierung hatte zum August des Jahres die Arbeitszeit für Lehrer an Gymnasien gegen deren Widerstand erhöht. Sie müssen statt 23,5 nun 24,5 Stunden arbeiten. Zudem wurde die vor Jahren in Aussicht gestellte Reduzierung der Arbeitszeit für Pädagogen höheren Alters ausgesetzt. Das gesparte Geld soll in Verbesserungen fließen, etwa für Ganztagsschulen. Der Philogenverband hatte dagegen protestiert.

An den meisten der 260 niedersächsischen Gymnasien haben nun die Lehrer angekündigt, aus Protest in diesem Schuljahr keine Klassenfahrten anzubieten. Sie folgen damit einem Aufruf der Personalräte. Die Schulausflüge zählen zu den sogenannten freiwilligen Leistungen, zu denen die Pädagogen nicht verpflichtet werden können. »Aus pädagogischer Verantwortung und als Zeichen des Protests«, schreiben die Lehrer, seien Klassenfahrten angesichts der steigenden Arbeitsbelastung nicht mehr möglich.

Aus Sicht von Eltern und Schülern spielen die Klassenfahrten aber eine wichtige Rolle im Schulleben, sie gelten als pädagogisch sinnvolle Ergänzung zum normalen Unterricht und sollen den Zusammenhalt einer Klasse stärken. Der Verband der Elternräte der Gymnasien Niedersachsens mag denn auch nicht akzeptieren, dass der Streit um Arbeitszeitverlängerungen »auf dem Rücken der Schüler ausgetragen wird«. Der Verband erwarte, »dass die pädagogisch besonders wichtigen Fahrten an allen Schulen auch weiterhin durchgeführt werden«, sagt Geschäftsführerin Petra Wiedenroth.

In Wildeshausen hat der Schulelternrat des örtlichen Gymnasiums die Proteste der Lehrer als »unangemessen« und als »Instrumentalisierung« der Schüler abgekanzelt. »Bedauerlicherweise sind die Lehrkräfte mit dem Boykott der Klassenfahrten das Risiko eingegangen, auch Vertrauen und Wertschätzung von Schülern und Eltern aufs Spiel zu setzen«, hieß es in einer Stellungnahme.

Auch der Landesschülerrat will nicht hinnehmen, dass Klassen- und Kursfahrten vorerst nicht mehr stattfinden sollen. Wenn die Lehrer freiwillige Leistungen strichen, könnten auch Schüler ihrerseits freiwillige Dienste einstellen, sagt der Vorsitzende des Rates, Helge Feußahrens. So sei etwa denkbar, dass sich Schüler weigerten, die Tafeln im Klassenraum abzuwischen oder die Klassenbücher zu führen. Oder dass sie zwar in die Schule kämen, sich aber nicht am Unterricht beteiligten. Bereits in dieser Woche wollten die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ihre Forderung an die Öffentlichkeit tragen, nach den Herbstferien sollen die Proteste ausgeweitet werden.

Gleichzeitig kritisiert der Landesschülerrat die Klage des Philologenverbandes. Ein langer juristischer Streit werde der Problematik nicht gerecht, urteilt Sprecher Florian Kolb. Die Schülervertretung stehe auch inhaltlich nicht hinter der Klage. Eine Stunde mehr Unterricht sei vertretbar. Schließlich unterrichteten auch Gesamt- und Berufsschullehrer 24,5 Stunden in der Woche und könnten trotzdem weiter Klassenfahrten anbieten.

Dieselbe Position vertritt das Kultusministerium in Hannover. Es verweist darauf, dass die wöchentlichen Unterrichtsstunden der Gymnasiallehrer in Niedersachsen zurzeit so niedrig sind wie kaum in einem anderen Bundesland: Bayern, Baden-Württemberg oder Mecklenburg-Vorpommern verlangen beispielsweise bis zu 27 Stunden pro Woche.

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