Und plötzlich kamen die Spielerberater

Folge 47 der nd-Serie »Ostkurve«: Eberhard Vogel war vor 25 Jahren für ein Spiel Nationaltrainer der DDR

  • Lesedauer: 6 Min.
Eberhard Vogel war Rekordspieler der DDR-Oberliga. Nach Erfolgen als Jugendtrainer wurde er kurz vor dem Mauerfall Assistent von Nationaltrainer Eduard Geyer. Vor genau 25 Jahren trug er für ein Spiel selbst die Verantwortung. Der 71-Jährige sprach nun mit Oliver Kern über die Wirren vor und fehlende Anerkennung nach der politischen Wende.

nd: An diesem Samstag, vor genau 25 Jahren, saßen Sie beim 4:0 gegen Malta ein einziges Mal als Nationaltrainer der DDR-Fußballer auf der Bank. Wie kam es dazu?
Vogel: Ich war als Nachwuchstrainer recht erfolgreich: 1986 wurden wir U18-Europameister, 1987 WM-Dritter mit der U20. Dann wurde ich als Co-Trainer zur Nationalmannschaft berufen, um mit Eduard Geyer zu arbeiten.

Warum war er nicht in Malta?
Wir wollten noch die Qualifikation zur WM 1990 in Italien schaffen. Dazu brauchten wir einen Sieg gegen die Österreicher, und Ede war an dem Tag zur Spielbeobachtung, als die gegen die Türkei spielten. Ich habe dann die Truppe übernommen, wir waren ja eingespielt.

War es kein besonderes Gefühl, auf einmal Nationaltrainer zu sein?
Doch schon. Mal als Nationaltrainer zu agieren, war etwas Besonderes.

Am 15. November verloren Sie dann doch 0:3 gegen Österreich. Toni Polster traf dreimal.
Wir waren vorher noch in Kienbaum im Trainingslager und sind recht früh nach Wien geflogen, um uns in der Sportschule dort weiter vorzubereiten. Dort ging aber dann das Theater los. Wir haben im Fernsehen mitbekommen, dass die Leute in der DDR auf einmal ausreisen konnten. Da war auch bei uns ein Tohuwabohu, weil sich plötzlich Spielerberater die Klinke in die Hand gaben.

Sie waren also noch vor dem 9. November nach Wien geflogen?
Ja.

Und dann kamen die Berater ...
Die durften zwar nicht rein, haben aber draußen gewartet, und unsere Spieler waren ja nicht doof. Die haben geahnt, dass hier was passieren könnte und haben sich auch mit denen getroffen. Am Ende waren wir nicht mehr motiviert genug. Die Spieler hatten andere Dinge im Kopf, als gegen Österreich zu gewinnen, obwohl wir mit einem Sieg in Italien dabeigewesen wären. Wir waren zu lappig. Das zeigt schon die Tatsache, dass wir drei Tore bekommen haben, und dann schoss einer auch noch alle drei. Das war eine Katastrophe.

Wurde Ihnen auch ein Trainerjob in der Bundesliga angeboten?
Nein, die Trainer waren nicht gefragt. Die sind erst am Schluss dran. Wir hatten alle Hände voll zu tun, die Spieler zusammenzuhalten. Die sind nur draußen rumgerannt und haben gefragt, ob sie einen Vertrag unterschreiben dürfen. Sie wussten natürlich, dass es um viel Geld geht.

Was schmerzt mehr: die Niederlage als Spieler mit Carl Zeiss Jena im Europapokalfinale 1981 gegen Tbilisi oder die gegen Österreich als Co-Trainer acht Jahre später?
Über das Spiel 1981 könnte ich mich jetzt noch ärgern. Wir führen nach einer Stunde 1:0: Eingabe von mir, Hoppe schießt das Ding ins lange Eck. Dann kam der Ausgleich. Wir haben einen Fehler gemacht, das muss ich unserem Trainer Hans Meyer auch noch mal sagen. Wir hätten uns zurückziehen und das 1:0 halten müssen. Aber wir greifen weiter an, laufen in die Konter rein und verlieren dann noch 2:1.

Die Erinnerungen scheinen noch ganz frisch zu sein.
Ja, ja, das war schlimm. Schade drum.

Zurück zur Nationalmannschaft. Im Malta-Spiel wechselten Sie Hendrik Herzog zu seinem Debüt ein. Hatten Sie ihn zuvor schon in Ihren Jugendmannschaften trainiert?
Ja, da waren so einige: Herzog, Sammer, Steinmann, Schuster, Kruse. Sehr viele von ihnen haben später in der Bundesliga Fuß gefasst. Einige wurden sogar noch in der Nationalmannschaft der BRD eingesetzt. Wir hatten wirklich gute Fußballer.

Trotzdem sagt man, Sie ließen vor allem nach dem Österreich-Spiel, jungen Spielern wie Herzog noch Länderspieleinsätze zukommen, um deren Marktwert für die Zeit nach der DDR zu steigern. Es kamen ja noch sieben Spiele 1990.
Und da waren wir erfolgreich wie nie zuvor. In Schottland haben wir gewonnen, in Brasilien 3:3 gespielt. Wir siegten gegen die USA und zum Schluss noch 2:0 gegen Belgien. Das war ein super Jahr, in dem wir uns alle Hoffnungen gemacht haben, mit einer guten Truppe weiterzuspielen trotz aller Umwandlungen. Der Schock kam erst in Brüssel nach dem Spiel, als unser Präsident sagte: Wir machen Schluss und schließen uns der Bundesrepublik Deutschland an. Ede und ich hatten wirklich gedacht, wir können mit der Mannschaft etwas schaffen. Und dann wurden wir zurückgerufen. Das war bitter für uns.

In diesen sieben Spielen tauchten ganz neue Namen auf. Wollten Sie nicht doch ein bisschen helfen?
So dumm sind die Leute, die sie kauften, auch nicht. Die haben gewusst, dass das super Fußballer waren.

Trotzdem standen nicht mehr Karsten Heine oder Perry Bräutigam im Tor, sondern Ronny Teuber, Jens Schmidt oder Jens Adler, die später zusammen nur auf ein Bundesligaspiel kamen.
Ein paar der alten Spieler waren weg, die hatten andere Sachen im Kopf. Wir brachten aber nicht absichtlich schlechtere Leute zum Einsatz.

Andreas Thom, der im Januar 1990 zu Leverkusen wechselte, spielte nur noch einmal für die DDR. Wir groß war die Motivation solcher Größen, noch in der Nationalelf zu spielen?
Es war nicht so einfach, aber das waren Fußballer. Wenn man das mit dem Herzen ist, macht man erst einmal das, was anliegt. Da hatten wir eigentlich keine Probleme. Schließlich wollten die Spielerberater auch in Länderspielen Leistung sehen. Und zu Leverkusen kann ich Ihnen noch sagen, dass ich gute Beziehungen zu Manager Reiner Calmund hatte. Ich war ein paar Mal dort in der Zeit, und er fragte mich: »Wen würdest Du aus der DDR holen?« Ich habe ihm ordentlich geholfen. Thom war der erste. Ich habe Calmund auch gesagt, dass Ulf Kirsten ein super Stürmer ist, der Tore machen kann.

War Eberhard Vogel also der erste Ost-Scout von Bayer Leverkusen?
So ist das, das könnte man so sagen.

Für Sie als Trainer folgten einige Stationen im Westen.
Wir hatten es nicht so einfach wie die Spieler. Ich war erst mal Jugendtrainer in Mönchengladbach, Ede Geyer Scout bei Schalke. Keiner ist groß rausgekommen. Hans Meyer profitierte davon, dass er einen Kumpel in den Niederlanden hatte. Er trainierte dort Enschede und kam erst danach zu Borussia Mönchengladbach. Wir Osttrainer waren nicht gut angesehen. Die haben gedacht, wir hätten 30 Jahre lang keinen Fußball gespielt.

Sie verschlug es 1992 nach Hannover - immerhin Pokalsieger?
Ja, aber wirklich als Billigtrainer! Das war trotzdem etwas ganz Großes für mich: 2. Bundesliga und ein super Verein. Die Verantwortlichen wussten, dass ich gut mit Jugendlichen umgehen konnte. Sie wollten, dass ich eine junge Mannschaft aufbaue. Doch die 40 000 Zuschauer wollten keine jungen Spieler sehen. Die wollten Erfolge sehen. Und mit jungen Leuten allein kannst du keinen Erfolg in der 2. Liga haben. Da bin ich nach zwei Jahren rausgeflogen und zurück nach Jena gegangen, wo wir in die 2. Bundesliga aufgestiegen sind.

Und heute genießen Sie das verdiente Rentnerdasein?
Ja. Ich schaue mir noch regelmäßig Spiele an. Ich habe vor Kurzem auch den neuen Trainer Karsten Hutwelker bei Carl Zeiss gesprochen. Den habe ich als Trainer damals nach Jena geholt, als er selbst noch spielte.

Spielen Sie denn noch selbst in der Altherrenmannschaft?
Nein, ich habe schon länger einen Herzschrittmacher, da geht nichts mehr. Ich bin aber jeden Mittwoch dabei, wenn die anderen noch ein bisschen spielen. Eine Stunde quatschen, ein bisschen zugucken und danach ein Bierchen trinken.

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