Schmerzhafte Diabetesfolgen

Bessere Versorgung könnte den Verlust von Gliedmaßen verhindern

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
300 000 Zuckerkranke leiden am diabetischen Fußsyndrom, jährlich sind 40 000 Amputationen nötig. Bei besser Vorbeugung wären einige vermeidbar, so Experten.

Zuerst verschwindet das Gefühl für Wärme und Kälte in den Füßen, dann auch jegliches Schmerzempfinden. Eine kleine Verletzung an einer der Zehen, die der Patient schon nicht mehr spürt. Er schiebt den Arztbesuch hinaus, aber bereits nach wenigen Tagen färben sich die Zehen schwarz - und müssen letztendlich amputiert werden. Ist die Infektion schon in die Tiefe vorgedrungen und hat Sehnen, Bänder und Knochen erreicht, muss der Fuß insgesamt abgenommen werden.

Noch viel zu häufig gibt es diesen Krankheitsverlauf bei Diabetikern in der Bundesrepublik. Rund 300 000 leiden am diabetischen Fußsyndrom, jährlich werden 40 000 Amputationen nötig. Thomas Haak, Chefarzt im Diabetes Zentrum Mergentheim, empfiehlt, dass sich Zuckerkranke einmal im Jahr die Füße anschauen lassen, am besten von einem Spezialisten. Natürlich sollten sie ihre Füße auch selbst täglich auf Veränderungen kontrollieren. Oft sind sogar Dermatologen, Chirurgen oder andere Fachärzte nicht auf dem letzten Stand, was die Versorgung dieser Verletzungen bei Diabetikern betrifft. Haak und seine Kollegen hatten schon Patienten, bei denen die Behandler zuvor nicht für die nötige Druckentlastung im Umfeld der Wunden sorgten. Sind erst einmal die genannten Fußprobleme aufgetreten, liegt die Rückfallrate bei 35 Prozent. Die Betroffenen bleiben Hochrisikopatienten. Das Fußsyndrom gilt auch als Spätfolge eines nicht oder schlecht eingestellten Diabetes.

Das Fußsyndrom ist aber nur eine der häufigeren Folgeerkrankungen beider Diabetestypen. Mit Typ 1 haben 85 Prozent aller Patienten nach 25 Jahren Schäden an der Netzhaut ihrer Augen. Die Angst vor der Erblindung hält sogar viele davon ab, überhaupt zum Augenarzt zu gehen. Diana Droßel kennt diese Furcht von Menschen, die sich von ihr beraten lassen. Sie ist seit ihrem zweiten Lebensjahr an Diabetes Typ 1 erkrankt, erblindete 1982 vollständig. Die heute 54-Jährige unterstützt andere Betroffene mit ihren Kenntnissen, etwa zur Nutzung der nötigen Technik, mit der Blutzucker gemessen und eingestellt werden kann. Droßel weiß selbst, wie schwer es ohne Sehvermögen ist, mit schlechten, etwa zu langen Teststreifen den Blutstropfen aus dem Finger richtig aufzunehmen. Zur barrierefreien Nutzung der Geräte und anderen Zubehörs gehört auch eine akustische Messwertausgabe. Technisch wäre die entsprechende Ausstattung kein Problem. Jedoch ist sie vom Gesetzgeber nicht vorgegeben, die Hersteller sehen den leicht höheren Energieverbrauch als Hindernis. Insulinpumpen wiederum haben zwar Orientierungstöne, aber blinde Nutzer müssen die Menüstruktur im Kopf haben. Wirklich barrierefrei ist auch das nicht.

Eine weitere Komplikation eines schlecht eingestellten Diabetes ist eine Erkrankung der Nieren. Die Hälfte aller Menschen, die in der Bundesrepublik eine maschinelle oder Bauchfelldialyse durchführen müssen, sind Diabetiker. Transplantationen sind wegen fehlender Spenderorgane immer seltener möglich. Die Überlebensdauer unter Dialyse wurde zwar schon von 3,6 Jahren anfang der 1980er Jahre auf heute mehr als acht Jahre gesteigert, die Behandlung schränkt die freie Alltags- und Lebensgestaltung aber erheblich ein.

Erhard Siegel, Präsident der Diabetes Gesellschaft, plädiert für einen nationalen Diabetesplan. Der könnte unter anderem auch vorgeben, welche Untersuchungen in welchen Abständen für wen geboten sind. Eine solche nationale Strategie existiert in 18 anderen Ländern, in Deutschland ist sie bislang nicht vorgesehen.

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