Die Empörung des Abu Khalid

Augenzeugen berichten aus Al-Rakka

  • Lesedauer: 3 Min.

Wie andere Gruppen, die in Syrien unter der Fahne des Islam vorgeben, die Menschen von dem »Despoten Assad befreien« zu wollen, erlässt auch der IS die Scharia als neues Rechtssystem. Dieben werden Hände abgehackt, Frauen müssen sich von Kopf bis Fuß verhüllen, andere, die sich nicht fügen, werden geköpft oder gekreuzigt. Musik oder Unterhaltung wie Cafés, Theater, Kino sind nicht erlaubt. Wer sich nicht an die vorgegebenen Gebetszeiten hält, wird bestraft.

In einem kleinen Hotel im Zentrum von Damaskus leben viele Familien, die aus Al-Rakka und anderen Städten vor den Kalifatskämpfern geflohen sind. Seine Tochter habe nicht mehr zur Universität gehen dürfen, erzählt Tarik al-Mustapha, ein älterer Mann im grauen Anzug. Einige Fächer wie Soziologie und Geschichte seien aus dem Lehrplan gestrichen worden. Der Begriff »Syrien« wurde durch »Islamischer Staat« ersetzt. »Ich bin mit ihr nach Damaskus gekommen, damit sie hier ihr Studium abschließen und vielleicht Arbeit finden kann.«

Ein älteres Ehepaar wartet in der Lobby auf Verwandte, die es zu sich nach Hause holen will. Als sie in Al-Rakka in den Bus gestiegen seien, hätten die Frauen alle hinten, die Männer vorne sitzen müssen, berichtet ein Mann, der sich als Abu Khalid vorstellt. »Ich habe mich umgedreht, um zu sehen, ob meine Frau auch einen guten Platz gefunden hat«, sagt er. »Ich konnte sie nicht erkennen, alle Frauen waren schwarz verschleiert.« So etwas habe er im Leben noch nicht erlebt, dass er nicht neben seiner Frau im Bus sitzen dürfe, empört sich Abu Khalid.

Der US-amerikanische Fernsehsender CNN zeigte kürzlich ein mit versteckter Kamera gedrehtes Video über den heutigen Alltag in Al-Rakka. Zu sehen sind auch die enthaupteten Leichen von Soldaten der syrischen Armee, die auf einem Gehweg liegen. Die Köpfe der Männer sind auf Zäunen aufgespießt. Ein Video, das vom US-amerikanischen »Wall Street Journal« ausgestrahlt wurde, zeigt, wie Zigarettenpackungen öffentlich verbrannt und Ladenbesitzer aufgefordert werden, Frauenkleidung nicht öffentlich zu zeigen. Zu sehen ist eine öffentliche Kreuzigung. Junge Männer, manche noch Kinder, filmen die Szene mit ihren Handys. Geld wird verteilt, um Informanten dazu zu bringen, IS-Gegner zu denunzieren.

Auch im französischen Fernsehen wurde ein heimlich gedrehtes Video ausgestrahlt. Eine Frau hatte die kleine Kamera unter ihrem Schleier, dem Nikab, versteckt und geht unter anderem in ein Internetcafé. Dort trifft sie auf zwei völlig verschleierte Frauen, eine hat ihren kleinen Sohn auf dem Schoß und spricht in perfektem Französisch offenbar mit ihrer Familie in Frankreich. Sie habe nicht vor, dorthin zurückzukehren, so die Frau, die zu ihrer Mutter sagt: »Kapier das endlich.« Alles was die Mutter im Fernsehen sehe, sei falsch, so die junge Frau. Ihr jedenfalls gehe es gut. Leu

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