Internationaler Sportgerichtshof vor dem Aus

Das derzeit gültige Sportrechtssystem könnte durch den Pechstein-Prozess kollabieren

  • Emanuel Reinke
  • Lesedauer: 2 Min.
Claudia Pechstein hat vor dem Oberlandesgericht München einen Erfolg erzielt. Dem Sportrechtssystem könnte eine Revolution bevorstehen.

Der jahrelange Streit um eine erhöhte Anzahl junger roter Blutkörperchen bei Eisschnellläuferin Claudia Pechstein könnte mit dem Kollaps des Sportrechtssystems enden. Das Münchner Oberlandesgericht hat die Autorität des Internationalen Sportgerichtshofs CAS am Donnerstag stark geschwächt und eine sportpolitische Sensation angestoßen.

Im Schadenersatzprozess der fünfmaligen Olympiasiegerin geht es längst nicht mehr nur um Geld. Die 42-Jährige scheint einen Präzedenzfall mit weitreichenden Folgen zu schaffen. »Es wird deutlich, dass der Pechstein-Prozess das Ende der Monopolstellung des CAS einläutet. Deshalb ist dieser Prozess so schön und wichtig«, sagt Sportrechtler Michael Lehner.

Knackpunkt ist die Schiedsklausel der Athletenvereinbarung, die im Fall Pechstein schon im Februar durch das Landgericht München in erster Instanz für unwirksam erklärt worden war. Auch das Oberlandesgericht kritisierte die Machtfülle des Eislauf-Weltverbandes ISU. Richter Rainer Zwirlein bemängelte, dass es im Eisschnelllauf anders als etwa im Boxen nur einen Weltverband gebe, dem sich die Sportler mit ihrer Unterschrift unter die Athletenvereinbarung unterwerfen müssten.

Spitzensportler schließen mit ihren Verbänden sogenannte Athletenvereinbarungen. Mit ihnen stimmen die Sportler zu, sich in Fragen des Anti-Doping-Kampfes den international gültigen Regeln und dem Code der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA zu unterwerfen und Streitigkeiten vor Sportschiedsgerichten in letzter Instanz vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne auszutragen. Dort setzt die Kritik aus dem Pechstein-Lager an. Das CAS-System ist für Pechstein-Anwalt Thomas Summerer kartellrechtlich sittenwidrig: »Wir glauben, dass der CAS kein echtes Schiedsgericht ist und es deshalb keine Rechtskraft geben kann.«

Pechstein hatte den Weltverband wegen ihrer auf Indizien beruhenden zweijährigen Dopingsperre 2009 auf 4,4 Millionen Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt. Die Berlinerin hatte stets argumentiert, eine vererbte Blutanomalie sei für ihre erhöhten Retikulozytenwerte verantwortlich. Beim nächsten Verhandlungstermin (15. Januar 2015/9.00 Uhr) wird der Fall nun vermutlich an den Bundesgerichtshof weitergegeben.

Sollten auch die Richter in Karlsruhe der Ansicht des Münchner Oberlandesgerichts sein, droht dem organisierten Sport Chaos. Denn in fast jeder Sportart gibt es nur einen Weltverband, der Weltmeisterschaften veranstaltet oder unter dessen Dach die Qualifikation für Olympia stattfindet. Bei einem entsprechenden Urteil müsste künftig unter Berufung auf den Pechstein-Prozess kein deutscher Athlet mehr die Schiedsklausel einer Athletenvereinbarung unterzeichnen. Wenn aber die internationalen Sportverbände darauf bestehen, drohen Klagewellen.

Schon der kommende Dienstag könnte Folgen haben: Dann findet die Anhörung der wegen Dopings für zwei Jahre gesperrten Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle statt. Bleibt deren Sanktion bestehen und Pechstein setzt sich durch, könnte auch Sachenbacher-Stehle vor Gericht Schadenersatz einfordern. SID

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