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Die heimatlose Währung

Alle reden von Bitcoins - ist das überhaupt Geld? Oder bloß Spielerei? Und weist es über den Kapitalismus hinaus?

  • Nick Sinakusch
  • Lesedauer: 10 Min.
Als Nischen-Zahlungsmittel und Spekulationsobjekt bleiben die Bitcoins vorerst wohl erhalten. Mittel zu einer dauerhaften »Entmachtung« des Staates dürften sie nicht werden.

Für die einen ist es die Zukunft, für andere eine Spinnerei. Einigen verspricht es gigantischen Reichtum, anderen die Freiheit von staatlicher Unterdrückung und dritten eine permanente Wirtschaftskrise: Bitcoin, das Geld aus dem Computer, eine virtuelle Währung für die Netzgemeinde. Sein Status ist unklar - ist das überhaupt Geld? Oder bloß eine technische Spielerei? Eine Konkurrenz für Dollar und Euro oder bloß ein Zahlungsmittel für Pädophile, Waffen- und Drogenschieber? »Früher habe ich gedacht, Bitcoins seien ein Scherz oder bestenfalls eine Währung für Clowns«, gesteht Joe Wiesenthal von »Business Insider«. »Heute weiß ich nicht mehr, wie die Zukunft aussieht.«

Was sind Bitcoins? Eine virtuelle Währung, ein Zahlungsmittel, das in einem Netzwerk zusammengeschlossener Computer entsteht und von Rechner zu Rechner transferiert wird - ohne das Zutun von Banken oder Zentralbanken. Es ist kein Papiergeld. Man kann sich einen Bitcoin als eine Datei vorstellen, die auf dem PC oder dem Handy gespeichert ist. Man kann im Internet damit zahlen, an Bitcoin-Börsen dafür Dollar, Euro oder andere Währungen kaufen und dort spekulieren.

Vision Bitcoin?

Das Internetprojekt Bitcoin verspricht ein unabhängiges Geld- und Zahlungsverkehrssystem in dezentraler Verwaltung. Computerfreaks lieben es für seine technische Eleganz, profitorientierte Finanzakteure lieben es für seine Spekulationsmöglichkeiten, und so manche Gesellschaftskritik sieht darin einen Hebel zur radikalen Wirtschaftsreform. Doch wie funktioniert überhaupt das Geld, das Bitcoin verdrängen will? Welche Vision setzt Bitcoin an seinen Platz, und was ist aus volkswirtschaftlicher und emanzipatorischer Perspektive davon zu halten? Und lässt sich durch eine Geldreform überhaupt etwas Grundsätzliches ändern in dieser Gesellschaft?

Diese und andere Fragen werden am Dienstag, den 18.11.2014, ab 19 Uhr im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin am Franz-Mehring-Platz 1 diskutiert - mit Beat Weber (Ökonom in Wien und Redakteur der Zeitschrift »Kurswechsel«) und Nadja Rakowitz (Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte und in der Redaktion des »express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit«). Mehr Informationen zur Veranstaltung gibt es unter www.rosalux.de

Das kann sich lohnen. Denn der Bitcoin-Kurs schwankt heftig auf und ab. Im Jahr ging es von 13 Dollar auf 1200 Dollar in die Höhe, dann wieder abwärts, derzeit kostet ein Bitcoin rund 350 Dollar. Die Community ist reich an Tellerwäscher-zum-Millionär-oder-auch-nicht-Geschichten: So erzählt Dominic Frisby in seinem Buch »Bitcoin - the Future of Money« von einem norwegischen Studenten, der 2010 Bitcoins für 27 Dollar erwarb und sie dann vergaß. Jahre später fand er heraus, dass aus seinem Einsatz 670 000 Dollar geworden waren. Lily Allen wurden für einen Programmier-Job in der Computer-Welt Second Life 100 000 Bitcoins angeboten - sie lehnte ab. Einige Zeit später wären ihre 100 000 Bitcoins 100 Millionen Dollar wert gewesen.

Zahlungsmittel im Internet gibt es schon lange. So konnte in »Second Life« mit so genannten Linden-Dollar bezahlt werden. Doch Bitcoin will mehr. Anders als mit dem Linden-Dollar kann man nämlich mit ihm in der wirklichen Welt einkaufen. Und es funktioniert. Kein Staat achtet auf die Fälschungssicherheit oder die Gültigkeit von Transaktionen. Diese Aufgabe übernimmt die Technik des Netzwerks.

Bitcoins entstehen, indem miteinander verbundene Computer auf der ganzen Welt mathematische Rätsel lösen - Bitcoins werden »geschürft«, eine Analogie zum Gold. Wichtig: Die Gesamtmenge von Bitcoins ist im Netzwerkprotokoll auf 21 Millionen beschränkt, mehr wird es nie geben. Derzeit sind etwa 13 Millionen »geschürft«. Verteilt werden neu entstandene Bitcoins über eine Art Lotterie. »Ganz so, als ob es keine Europäische Zentralbank gäbe und alle Menschen in der europäischen Wirtschaft gemeinschaftlich Geld drucken und sich ebenso gemeinschaftlich um dessen Verbreitung kümmern würden«, wie es in der Broschüre »Bitcoin - endlich ein faires Geld?« heißt.

Die Zahlungen laufen über das Computernetzwerk, die Community kontrolliert, dass alles mit rechten Dingen zugeht - dass zum Beispiel ein Nutzer einen Bitcoin nicht zwei Mal ausgeben kann. Das alles läuft weitgehend anonym ab, ohne den Staat - und das gefällt Ultraliberalen von der FDP ebenso wie Anarchisten und anderen Libertären. Keine Regierung, keine Zentralbank kann dieses Geld »drucken«, keine Geschäftsbank kann seinen Wert durch Spekulationsgeschäfte gefährden.

Man weiß nicht, ob Satoshi Nakamoto existiert. Aber hinter diesem Namen verbirgt sich der »Erfinder« von Bitcoins. Staatliche Papierwährungen, so Nakamoto, basieren auf Vertrauen. Doch ihre Geschichte sei voll von Beispielen des Vertrauensbruchs. »Banken verleihen das Geld in Wellen von Kreditblasen, ohne über Eigenkapital zu verfügen.« Zentralbanken drucken Geld ohne entsprechenden Gegenwert. Damit soll Bitcoin Schluss machen - dieses Versprechen hat ihm nach der globalen Finanzkrise viel Zulauf beschert.

2009 kam die Kryptowährung auf die Welt, und seitdem wurde sie schon oft zu Grabe getragen. Als die große Bitcoin-Börse Mt. Gox im Juni 2011 gehackt wurde, hieß es: Bitcoin ist tot. Als Anfang Oktober 2013 die Drogenhandelsplattform Silk Road - auf der mit Bitcoins gezahlt werden konnte - vom FBI geschlossen wurde, kommentierte Mark Gimein vom Finanzdienstleister Bloomberg: »Dies unterminiert die Existenzgrundlage von Bitcoin.« Und nach dem Zusammenbruch von Mt. Gox im Februar 2014 urteilte die Börsen-Zeitung: »Bitcoin hat sich erledigt.«

Doch sie sind noch immer da. Und verbreiten sich: Über 40 Millionen Bitcoin-Konten sollen weltweit schon eingerichtet sein. In München ist gerade der erste Bitcoin-Geldautomat eingerichtet worden, in Tokio und Nagoya gibt es schon welche. Derzeit akzeptieren 75 000 Firmen auf der Welt Bitcoin - darunter große Namen wie Dell oder Expedia - vor einem Jahr soll es bloß ein Zehntel davon gewesen sein. Allerdings rechnen auch diese Firmen noch immer in Euro und Dollar, der Bitcoin ist für sie lediglich ein Durchgangsstadium, eine Anweisung auf echtes staatliches Geld.

Bislang sind Bitcoin in der Wirtschaftswelt ein Randphänomen: Global werden im Netzwerk pro Tag Transaktionen über knapp 60 Millionen Dollar abgeschlossen. Beim Finanzdienstleister Visa sind es fast 20 Milliarden Dollar. Der Gesamtwert aller Bitcoins - die Bitcoin-Geldmenge - beträgt derzeit umgerechnet knapp fünf Milliarden Dollar. Der US-Dollar kommt auf über 2700 Milliarden. Doch Freunde des Projekts geben sich hoffnungsfroh: »Ich rechne damit, dass sich der Bitcoin dauerhaft als echte Währung etablieren wird, denn er ist eine globale Währungseinheit, mit der sich einfach und effizient bezahlen lässt«, Matthias Kröner, Chef der Fidor Bank.

Die Staaten beäugen das staatenlose Geld misstrauisch. Einige stufen Bitcoin als Zahlungsmittel ein, andere als Spekulationsobjekt, wieder andere ignorieren Bitcoins oder verbieten sie. Das Misstrauen gründet auf zwei Eigenheiten: Wegen der weitreichenden Anonymität des Bitcoin-Zahlungsverkehrs eignet es sich für kriminelle Geschäfte jeder Art - vom Drogenhandel über Kinderpornografie bis zur Steuerhinterziehung. Daneben machen die starken Schwankungen des Kurses Bitcoins zu einer gefährlichen Anlage. Und diese Kursschwankungen dürften noch zunehmen. Bitcoin-Fans hoffen auf eine drastische Aufwertung, wenn einmal die gesamte Menge von Bitcoins von 21 Millionen geschürft ist. Verbreitet sich dann die Nutzung von Bitcoins bei gleichbleibender Geldmenge, soll der Kurs in die Höhe schießen.

Diese Kursschwankungen allerdings bedrohen gleichzeitig das gesamte Projekt: Wenn ein Bitcoin mal 1000 und mal 500 Dollar wert ist, unterminiert dies seine Funktion als Tauschmittel. »Käufer und Verkäufer unterliegen einem permanenten Wechselkursrisiko«, erklärt Beat Weber von der Österreichischen Nationalbank. »Es gibt keine Zentralbank, die das System stabilisiert.« Dem wäre hinzuzufügen: Es existiert überhaupt keine Institution wie der Staat, der die Geltung des Geldes garantiert. Damit steht das gesamte System auf schwankendem Grund - nämlich auf der freiwilligen Zustimmung der Akteure, Bitcoins als Geld zu akzeptieren.

Die begrenzte Bitcoin-Menge schürt also die Spekulation. Gleichzeitig ist es genau diese Begrenztheit, die Liberale lieben. Denn, so die Idee, da Staat und Banken das Geld nicht beliebig vermehren können, droht keine Inflation. Bitcoins - der Traum aller Sparer? Nicht ganz. Die Sicherheit trügt. Denn eine feste Geldmenge passt nicht zu einem expansiven Wirtschaftssystem wie dem Kapitalismus.

Wie vermehrt sich Geld heute? Nicht indem Geschäfts- und Zentralbanken Euros »nach Belieben« schöpfen. Geld entsteht heute durch Kreditvergabe. Vereinfacht gesagt: Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, entsteht dadurch neue Zahlungsfähigkeit. Jeder Kredit hat einen Anspruch auf Zinsen, die der Kreditnehmer erwirtschaften muss. Jeder geschöpfte Euro enthält also einen Vermehrungsanspruch. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass einer Erhöhung der Geldmenge eine höhere Wirtschaftsleistung gegenübersteht. Umgekehrt bedeutet dies: Für Wachstum, für rentable Geschäfte ist jederzeit Geld (Kredit) da. So wird das kapitalistische Wachstum freigesetzt von der Schranke einer fixierten Menge an Geld.

Natürlich kann das schiefgehen, Unternehmen gehen pleite, Kredite platzen. »Der Kapitalismus ist nicht bekannt als besonders stabiles System«, so Weber. In diesen Fällen kann die Zentralbank einspringen, neues Geld schöpfen und die Krise so abfedern.

Modernes Kreditgeld ist also bloß von seiner Eigenschaft gedeckt, kapitalistisches Wachstum anzuschieben. Der Bitcoin hingegen beruht schlicht darauf, dass es so wenige von ihm gibt. Seine Menge ist auf 21 Millionen fixiert. Um diese Schranke zu überwinden, könnten Banken »Papier-Bitcoins« ausgeben und so die Zahlungsfähigkeit über die Menge an vorhandenen Bitcoins erhöhen. Doch damit ergäben sich die gleichen Probleme wie in der heutigen Welt - und schlimmere. Denn es gibt keine Instanz, die in Zeiten der Geldknappheit einspringen und das Finanzsystem mit Liquidität versorgen könnte. In einer Bitcoin-Welt kommt es in der Krise tatsächlich zum ganz großen Knall.

Und zur Krise kommt es früher oder später ohnehin, ob in Bitcoin gezahlt wird oder in Euro. Denn der Grund der Krise liegt nicht in einer kreditgetriebenen Geldvermehrung. Sondern in der Tatsache, dass die kapitalistischen Unternehmen nicht nach Bedürfnissen produzieren, sondern Profit machen wollen. Das Konkurrenzspiel zwingt zur immer größeren Produktion und der immer wachsenden Warenmenge steht eine stets begrenzte Kaufkraft gegenüber. Ein anderes Geld löst diesen Grundwiderspruch nicht.

Wenn die Menge an Zahlungsmitteln auf die vorhandenen Bitcoins begrenzt bleibt, sind der Produktion enge Fesseln angelegt. Zudem bedeutet eine steigende Warenmenge bei gleichzeitig stagnierender Geldmenge permanent sinkende Preise: Deflation. Auch das wirkt im Kapitalismus tödlich. Denn Konsumenten halten ihr Geld fest und spekulieren auf die Aufwertung ihres Geldes. Unternehmen wiederum sind mit unkalkulierbaren Risiken konfrontiert: Sie müssen heute Geldsummen investieren, müssen aber damit rechnen, dass der Preis ihrer Waren dauerhaft sinkt.

Ein passendes Geld für den Kapitalismus scheinen Bitcoins also nicht zu sein. Weisen sie über den Kapitalismus hinaus? Eher nicht. Denn sie sind bloß Geld, und Geld ist ein bestimmtes gesellschaftliches Verhältnis. Wenn Bitcoins Euro und Dollar ersetzen, ändern sie nichts an der Existenz von Lohnarbeit, Profiten, Investitionen, Arbeitslosen. In der Bitcoin-Welt akkumuliert Daimler Bitcoins statt Euro, dort wird Hartz IV in Bitcoin ausgezahlt, und wer verhungert, dem fehlen eben Bitcoin und nicht Dollar oder Euro. »Kooperative Währungen« wie Bitcoin, Litecoin, Namecoin gebären keine kooperative Wirtschaftsform. Die bräuchte gar kein Geld - weder Euro noch Dollar noch Bitcoins.

Daher ist auch die Bezeichnung irreführend, Bitcoin sei das »Napster of Finance«. Die Musik-»Tauschbörse« Napster ermöglichte es den Teilnehmern, kostenfrei Musikstücke zu kopieren und so zu verbreiten. Sie eröffnete einen Zugang zu den Liedern ohne Tausch, ohne Zahlung, einfach durch »teilen«, am Markt und an den Musikkonzernen vorbei. Bitcoins hingegen sind das Gegenteil. Sie sind Geld: Ein Mittel, den Ausschluss der Menschen von den Waren zu organisieren. Schließlich dient die ganze ausgefeilte Technik der Bitcoins nur dem Zweck der verlässlichen Eigentumsübertragung - also dem Zweck, sicherzustellen, dass die einen Geld haben und die anderen nicht und dass alles auch nur über Geld zu bekommen ist. Im Bitcoin-Universum sichert nicht mehr der Staat das Privateigentum, sondern die Technik.

Wie sieht also die Zukunft aus? Als Nischen-Zahlungsmittel und Spekulationsobjekt bleiben die Bitcoins vorerst wohl erhalten. Mittel zu einer dauerhaften »Entmachtung« des Staates dürften sie nicht werden. Setzen sie sich durch, verliert eine Regierung zwar die Macht über das Geld und damit seinen Teil seiner finanziellen Souveränität. Doch wird sich das wohl kein Staat der Welt bieten lassen.

Als Konzept stellt die Kryptowährung »einige nützliche und zeitgemäße Fragen über die Prinzipien und Grundlagen der dominanten politischen Ökonomie«, schreiben Vasilis Kostakis und Chris Giotitsas in »The (A)political Economy of Bitcoin« und fügen hinzu: Nötig wäre »eine andere politische Ökonomie, die die Fesseln des kapitalistischen Opportunismus abstreift und uns in eine neue Ära der wirtschaftlichen Transaktionen auf Basis der schöneren Aspekte des menschlichen Geistes leitet«.

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