Urteil des BGH mit einiger Tragweite

Wohnungseigentümergemeinschaft

  • Lesedauer: 4 Min.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass ein einzelner Wohnungseigentümer die Sanierung des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen kann, sofern diese zwingend erforderlich ist und sofort erfolgen muss; unter dieser Voraussetzung ist für die Berücksichtigung finanzieller Schwierigkeiten (oder des Alters) einzelner Wohnungseigentümer kein Raum.

Verzögern die übrigen Wohnungseigentümer die Beschlussfassung über eine solche Maßnahme schuldhaft, können sie sich schadensersatzpflichtig machen, erklärt der Kieler Rechtsanwalt Jens Klarmann von der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft (DASV) und verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. V ZR 9/14) vom 17. Oktober 2014.

Worum ging es in Karlsruhe?

In dem Verfahren bestand die Wohnungseigentümergemeinschaft zunächst aus zwei Einheiten im Erd- und Dachgeschoss eines Hauses. Der Rechtsvorgänger der Klägerin baute seine Kellerräume nachträglich aus. Sie bilden seit einer Teilungserklärung aus dem Jahre 1996 eine dritte Sondereigentumseinheit. Sämtliche Wohneinheiten wurden später veräußert. Die Beklagten sind die jetzigen Eigentümer der Wohnungen im Erd- und Dachgeschoss.

Die Klägerin erwarb die im Keller gelegene Wohnung im Jahr 2002 unter Ausschluss der Sachmängelhaftung zu einem Kaufpreis von 85 000 Euro. Diese weist seit 2008 einen Feuchtigkeitsschaden auf und ist inzwischen unbewohnbar.

Ursache hierfür sind in erster Linie Planungsfehler bei dem Umbau der Keller- in Wohnräume und damit verbundene Baumängel, die das gemeinschaftliche Eigentum betreffen. Die Klägerin wollte sie daher sanieren lassen. Als die anderen nicht mitziehen wollten, ging sie vor Gericht.

Wie haben die Vorinstanzen entschieden?

Das Amtsgericht Andernach hat die Beklagten - dem Antrag der Klägerin entsprechend - verurteilt, der anteiligen Aufbringung der Kosten für die Sanierung der Kellergeschosswohnung durch die Wohnungseigentümer und (zu diesem Zweck) der Bildung einer Sonderumlage von rund 54 500 Euro zuzustimmen sowie Schadenersatz aufgrund der verzögerten Renovierung der Kellergeschosswohnung zu zahlen. Ferner stellte das Gericht die Pflicht der Beklagten zum Ersatz künftiger Schäden der Klägerin fest.

Auf die Berufung der Beklagten hob das Landgericht Koblenz 2013 in zweiter Instanz das Urteil auf und wies die Klage ab. Die Kostenbelastung überschreite die »Opfergrenze« der betagten und finanzschwachen Beklagten, deren Wohneinheiten auch ohne die begehrte Sanierung nutzbar seien.

Wie ist die Rechtslage sonst?

Bei derartigen sogenannten Wohnungseigentümergemeinschaften gilt normalerweise der Grundsatz »Mitgegangen - mitgefangen«. Das heißt, wer eine Wohnung in einem Haus besitzt, muss die Sanierung der Teile, die allen Eigentümern zusammen gehören wie etwa Dach, Fenster, Außenwände akzeptieren und mitbezahlen.

Wie begründet der BGH seine Entscheidung?

Der für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des BGH hat nun dieses Urteil aufgehoben. Er hat entschieden, dass die Klägerin sowohl die Zustimmung zu der anteiligen Kostentragung als auch zur Bildung der Sonderumlage verlangen kann. Jeder Wohnungseigentümer kann die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums beanspruchen. Allerdings haben die Wohnungseigentümer insoweit einen Gestaltungsspielraum; sie müssen das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und im Grundsatz auf die Leistungsfähigkeit der Wohnungseigentümer Rücksicht nehmen. Deshalb sind sie berechtigt, Kosten und Nutzen einer Maßnahme gegeneinander abzuwägen und nicht zwingend erforderliche Maßnahmen gegebenenfalls zurückzustellen.

Anders liegt es jedoch, wenn - wie hier - die sofortige Instandsetzung zwingend erforderlich ist. Denn infolge der sanierungsbedürftigen Mängel am gemeinschaftlichen Eigentum ist die Wohnung der Klägerin unbewohnbar. Für die Berücksichtigung finanzieller Schwierigkeiten (oder des Alters) einzelner Wohnungseigentümer ist in solchen Fallkonstellationen kein Raum. Dies liefe der notwendigen Erhaltung von Wohnungseigentumsanlagen zuwider. Zudem müsste die Klägerin die Lasten des Wohnungseigentums tragen, obwohl sie es dauerhaft nicht nutzen könnte. Die Wohnungseigentümer müssen anteilig für die Sanierungskosten aufkommen, selbst wenn sie in erster Linie der Kellergeschosswohnung zugute kommen.

Im Hinblick auf die Schadensersatzansprüche wies der V. Zivilsenat die Sache an das Berufungsgericht zurück. Er hat aber entschieden, dass eine Ersatzpflicht der Wohnungseigentümer für solche Schäden an dem Sondereigentum in Betracht kommt, die dadurch entstehen, dass die gebotene Beschlussfassung über die Vornahme zwingend erforderlicher Maßnahmen unterbleibt. Eine Haftung kann diejenigen Wohnungseigentümer treffen, die schuldhaft entweder untätig geblieben sind oder gegen die erforderliche Maßnahme gestimmt bzw. sich enthalten haben.

Wer ist von diesem Prozess betroffen?

Betroffen sind all diejenigen, die eine Wohnung in einem Haus besitzen. Dabei ist gleich, ob sie selber darin wohnen oder vermietet haben. 2011 gab es in Deutschland nach Angaben von Haus & Grund knapp neun Millionen solcher »Wohneinheiten« - 22,1 Prozent aller Wohnungen in Deutschland. DASV/dpa/nd

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