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Jagd nach Geld und Ruhm

Balzacs Roman »Verlorene Illusionen« in einer Neuübersetzung

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Werk ließ seine Dimension schon ahnen, als er sich 1841 entschloss, alle Bücher, die er in Nächten kolossaler Anstrengung aus sich herausgeschleudert hatte, unter einem Dach zu versammeln. Eine Gesamtausgabe sollte es sein, ein Monument, mächtig und stolz, Schöpfung eines Genies mit Namen Honoré de Balzac. Er war jetzt Anfang vierzig und schon gezeichnet von Anstrengung und Lebenshetze, da lag es nahe, seinen Landsleuten und auch der angebeteten Frau Hanska zu zeigen, was er geschaffen hatte. Eine Gruppe von Verlagen war auch bereit, das Projekt zu realisieren, es musste nur noch ein Titel her, der alles zusammenhielt. Balzac kam auf die Idee zurück, die er schon vor Jahren geäußert hatte, und nannte das Ganze mit einem Seitenblick auf Dante »Comédie humaine«. In einer langen Vorrede erklärte er selbstbewusst, er wolle die Gesellschaft seines Jahrhunderts malen.


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* Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen. Hg. u. übers. v. Melanie Walz.
Carl Hanser Verlag. 960 S., geb., 39,90 €.


Balzac starb im August 1850, ohne sein Romanepos vollendet zu haben. Dennoch ist die »Menschliche Komödie«, wie er sie hinterließ, ein Gebilde ohne Vergleich, staunenswert und beispiellos. Eines ihrer herrlichen Werke, so umfangreich wie kein anderes, zusammengesetzt aus drei Teilen und entstanden zwischen 1837 und 1843, sind die »Verlorenen Illusionen«, die Geschichte vom Aufstieg und Fall des schönen Lucien de Rubempré, eines Dichters, den es in seinem Provinznest nicht mehr hält und der aufbricht, das Helle zu suchen, das wahre Leben. Das Helle ist Paris, da will er hin, Ruhm ernten und Geld. Er landet in seinem unmäßigen Streben nach Erfolg und Einfluss im kommerzialisierten Literaturgeschäft, gibt Integrität und Gesinnung auf und wird ein käuflicher, intriganter Schreiber, der schließlich sogar den Freund und Mann seiner Schwester skrupellos ruiniert und im Unglück endet.

Balzac, der es anfangs selber mit einer Karriere als Verleger und Drucker versucht hatte, dem aber von diesem Abenteuer nichts als ein Schuldenberg geblieben war, hat seine bitteren Erfahrungen mit dem Literaturbetrieb, dem Journalismus und dem Druckerhandwerk der Restaurationszeit in diesen Roman geschrieben. In Deutschland las man ihn bis in unsere Tage meist in den Versionen von Otto Flake, Udo Wolf und Hedwig Lachmann (deren Text Ernst Sander für die Balzac-Edition des Goldmann-Verlages schon überarbeitet bot). Eine neue deutsche Fassung, lange erwartet, kommt jetzt aus dem Hanser-Verlag, der bisher alle Bände seiner schönen Klassikreihe in gefeierten Neuübersetzungen herausbrachte. Balzac, von Melanie Walz in ein frisches, wunderbar lesbares Deutsch gebracht, dazu versehen mit Anmerkungen, einer Zeittafel und einem gründlichen Nachwort, ist nach Stendhal und Flaubert der dritte große Franzose, der in der Hanser-Bibliothek zu strahlend neuem Leben kommt. Und staunend wird man gewahr, dass das gnadenlose Bild einer verlogenen Gesellschaft, das er malt, so fremd und gestrig, wie man denken könnte, gar nicht ist.

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