»Den Rest haben Sie versteckt!«

Wie die Linkspartei einmal die SED-Opferrente erhöhen wollte - und die Union daraus ein Argument gegen die Linkspartei machte

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Es gehört zu den Standards der geschichtspolitischen Debatte hierzulande, der Linkspartei vorzuhalten, sie tue nicht genug für die Opfer von Repressionen, die in der DDR unter rigiden Maßnahmen des SED-dominierten Staatsapparates zu leiden hatten. Erstens: Wer, wenn nicht die Nachfolgepartei hätte sich diesen Schuh anzuziehen? Aber zweitens: Ist es denn überhaupt so?

Vor gut einer Woche diskutierte der Bundestag über das »Fünfte Gesetz zur Verbesserung der rehabilitierungsrechtlichen Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR«. Es lagen ein Entwurf der Bundesregierung vor - und einer der Linksfraktion. Letzterer ist von der Sache her nicht ganz neu, er geht auf einen Entschließungsantrag aus dem Jahr 2010 zurück, der inzwischen zu einer Gesetzesinitiative weiterentwickelt wurde. (Von der ersten Lesung gab es bei den großen Nachrichtenagenturen übrigens keine Notiz.)

Das vor dem Hintergrund der geschichtspolitischen Debatten bemerkenswerte daran ist nicht nur, dass die Linksfraktion in ihren Forderungen nach einer Ausweitung der Opferrente und des Kreises derer, die in den Genuss einer - eher symbolischen - Zahlung kommen. Bemerkenswert ist auch, in welcher Weise die Union selbst das noch versucht, in ein Argument gegen die Linke umzudrehen.

Der Entwurf der Regierung wurde im Bundestag mehr oder weniger emphatisch von Justizminister Heiko Maas eingebracht. Danach kam für die Linke die Abgeordnete Halina Wawzyniak an die Reihe, die zunächst erklärte, man werden dem Regierungsentwurf zustimmen - aber man wolle eigentlich mehr.

Mehr Rente für die Opfer als die Koalition vorschlägt, einen Anspruch, der ab dem ersten Tag politischer Haft gilt, keine Anrechnung der Zahlung auf das Einkommen und die Ausweitung des Kreises der Berechtigten auf jene, die im Zuge der Weltfestspiele 1973 wegen »asozialem Verhalten« verfolgt wurden. Nicht zuletzt will die Linke erreichen, dass die Frist zur Antragstellung für eine Opferrente aufgehoben und die Beweislast für eventuelle Gesundheitsschäden durch die Haft nicht bei den Betroffenen liege.

Wawzyniak bot im Bundestag sogar etwas an, das man dort eher selten erlebt: dass aus dem Antrag der Linksfraktion deren Urheberschaft gestrichen und stattdessen diese Union, SPD und Grünen unterstellt werde. Die Linksfraktion werde auch einem solchen Antrag dennoch zustimmen, so Wawzyniak. Denn, um einen Zwischenruf ihres Fraktionskollegen André Hahn zu zitieren: »Es geht doch um die Betroffenen.«

Offenbar aber nicht der Union. Die machte zunächst durch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Arnold Vaatz auf sich aufmerksam, der sagte, was unbestritten ist: Hätte es in der DDR keine Repressionen gegeben, müsste man nun nicht über Wiedergutmachung reden. Vaatz fragte weiter, ob sich Wawzyniak vorstellen könne, »dass die Erben der SED einen eingetragenen Verein gründen, in den sie jeden Monat fünf Prozent ihres Einkommens einzahlen, um all die noch vorhandenen Mängel« an dem Wiedergutmachungsgesetz zu begleichen.

Wawzyniak antwortete mit Ja - und bot sogar an, Gründungsmitglied eines solchen Vereins zu werden. Ihr Hinweis auf die rund vier Milliarden DDR-Mark, die 1990 von der SED ins Staatsvermögen flossen, dürfte bei Vaatz aber wohl ebenso wenig auf Gehör gestoßen sein wie jener auf den Vergleich aus dem Jahr 1995, mit dem die damalige PDS auf alles Vermögen verzichtete, dass die SED nicht rechtsstaatlich erworben hatte.

Natürlich kam, neben den leider üblichen Gleichsetzungen von NS-Terror und DDR, irgendwann ein die ominösen SED-Milliarden betreffender Zuruf aus der Union: »Den Rest haben Sie versteckt!« So - also mit großem Sie - ist es im Protokoll des Bundestags vermerkt, was bei strenger Auslegung darauf hinauslaufen würde, dass die sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann offenbar der Meinung ist, Wawzyniak persönlich habe irgendwo das berühmte SED-Gold vergraben. Nun ja.

Nach der Linkenabgeordneten kam der Unionspolitiker Stefan Heck zu Wort, der Wawzyniak jedes gute Motiv damit bestritt, dass die SED - also eine Partei, deren Führung 1989 vor dem demokratischen Aufbegehren vieler und auch der eigenen Mitgliedschaft kapituliert hat - keine Entschädigung für NS-Opfer gezahlt habe. Wawzyniak war damals übrigens 16 Jahre alt. »Es ist eigentlich kein weiterer Beweis dafür mehr erforderlich«, befand Heck dennoch, »dass Sie in dieser Frage keine besonders glaubwürdigen Vertreter sind«.

Heck wies dann noch die Forderung der Linkspartei nach einer Beschränkung des Berechtigtenkreises mit dem Argument zurück, man müsse doch schließlich dafür Sorge tragen, »dass vor allem diejenigen weiterhin von der Gewährung der SED-Opferrente ausgeschlossen bleiben, die wissentlich und willentlich mit der Stasi zusammengearbeitet haben«.

Das ging sogar dem Koalitionspartner SPD zu weit, deren Abgeordneter Matthias Bartke daran erinnerte, dass es viele Fälle gab, in denen das MfS die Haft von Menschen ausnutzte, »um sie zu einer Zusammenarbeit zu drängen«. Bartke in Richtung Heck: »Ich finde, man sollte vorsichtig sein mit Vorwürfen und Verurteilungen denen gegenüber, die in einer solchen Situation schwach geworden sind.«

In welcher Weise die geschichtspolitische Diskussion parteipolitisch instrumentalisiert wird, machte der CDU-Abgeordnete Heck dann auch noch deutlich. In Richtung Wawzyniak sagte er, er habe bei all dem »was Sie hier ja wortreich und konziliant vorgetragen haben« den Satz vermisst, »dass die DDR ein Unrechtsstaat war«. Mit einer solchen Erklärung würde die Linke angeblich mehr für die Opfer der SED-Herrschaft tun als mit den Vorschlägen im Gesetzentwurf der Linken. In der Debatte um den Unrechtsstaat hatte man hingegen immer wieder vernommen, die Linke würde sich ja womöglich nur deshalb zu dem Begriff durchringen, damit sie nicht weiter mit der historischen Schuld belastet werde. Egal was diese Partei tut, es bleibt offenbar falsch.

Am Ende war es dann übrigens ein Unions-Abgeordneter, der darauf hinwies, dass eine Opferrente erst 2007 unter der Großen Koalition eingeführt - und nun zum ersten Mal überhaupt erhöht werden soll. Die Linksfraktion hat einen Antrag eingebracht, in dem diese Leistung deutlicher ausgeweitet werden soll. Man wird ihr dennoch weiter vorhalten, sie tue nicht genug für die Opfer von Repressionen, die in der DDR unter rigiden Maßnahmen des SED-dominierten Staatsapparates zu leiden hatten.

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