Zwist über »zwei Linien«

Seehofer will Klarheit bei Haltung gegenüber Russland / Petersburger Dialog vor Umbau

  • Lesedauer: 4 Min.
Für den Bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer sind Teile der SPD zu russlandfreundlich. Er fordert die Genossen dazu auf, ihre »eigene Diplomatie« aufzugeben.

Berlin. In der Bundesregierung wird immer offener um den Kurs in der Ukraine-Krise gerungen. CSU-Chef Horst Seehofer verlangte von dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel Klarheit darüber, ob die Sozialdemokraten die Bundeskanzlerin unterstützten, sagte der bayerische Ministerpräsident dem »Spiegel«. Er werde das Thema beim Koalitionsausschuss am Dienstag zur Sprache bringen. Der Westen müsse zusammenstehen, das gelte erst recht für die Regierung, so der Bayer.

Zuletzt waren unter anderem Äußerungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) als Distanzierung von der Linie Angela Merkels verstanden worden. Sie hatte auf dem G20-Gipfel in Australien ihren Ton gegenüber Moskau verschärft - unmittelbar vor einer Gesprächsreise Steinmeiers unter anderem nach Russland. Die Kanzlerin warnte unter anderem vor einem Flächenbrand durch das Vorgehen Russlands in der Ukraine-Krise.

Steinmeier wiederum hatte erklärt, es sei wichtig, »dass wir auch in der Benutzung unserer öffentlichen Sprache uns nicht die Möglichkeit verbauen, zur Entspannung und Entschärfung des Konflikts beizutragen«. Auch SPD-Chef Gabriel hatte mit dem Hinweis auf Willy Brandts Entspannungspolitik, die dieser »auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges verkündet hat«, auf die Fortsetzung von Versuchen gedrängt, mit den Russen im Gespräch zu bleiben.

»Wenn Herr Steinmeier eine eigene Diplomatie neben der Bundeskanzlerin betreibt, so wäre das brandgefährlich«, erklärte Seehofer nun. Auch in seiner Partei gebe es allzu russlandfreundliche Strömungen, die er in Schach halten müsse, so der CSU-Vorsitzende weiter. »Die sagen sonst: Warum gestatten wir der SPD diese russlandfreundliche Haltung, den eigenen Leuten innerhalb der CSU aber nicht?«

Im »Spiegel«-Interview sagte Steinmeier, der Eindruck, er habe Kritik an Merkels Rhetorik geäußert, sei »an den Haaren herbeigezogen«. Es werde der Krise nicht gerecht, »wenn daraus ein Problem innerhalb der Bundesregierung gemacht werden soll«. Der SPD-Politiker machte mit Blick auf das Treffen in »down under« deutlich: »Was ich unklug finde, ist, wenn Gipfel wie diese, wo letzte Möglichkeiten zum direkten, vielleicht vertraulichen Gespräch bestehen, als öffentliches Forum inszeniert werden.«

Derweil wirken sich die unterschiedlichen Ansätze in der Ukraine-Krise offenbar auf das deutsch-russische Gesprächsforum »Petersburger Dialog« aus. Dieses soll laut »Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung« reformiert werden und eine neue Führung erhalten. Das sehe ein Eckpunktepapier vor, das von Kanzleramt und Auswärtigem Amt unterstützt werde. Darin heißt es, das Forum müsse in Zukunft »Raum für die kritische Auseinandersetzung mit der russischen Politik geben«, wobei zivilgesellschaftliche Organisationen stärker in der Mitgliederversammlung vertreten sein sollen. Dafür soll eine neue Satzung erstellt und dann ein neuer Vorstand gewählt werden.

Den Berichten zufolge steht damit voraussichtlich die Ablösung des Vorsitzenden Lothar de Maizière (CDU) bevor. Der letzte DDR-Ministerpräsident gelte im Kanzleramt als zu unkritisch gegenüber Russland, ihm werde die angestrebte Reform nicht zugetraut. De Maizière hatte unlängst erklärt, er halte von den Wirtschaftssanktionen gegenüber Moskau »nicht viel«. Sie schwächten Russland, was auch die Absicht sei. Deutschland müsse aber ein Interesse an einem stabilen Russland haben, so de Maizière weiter. »Wirtschaftssanktionen schwächen die Ukraine und die europäische Wirtschaft. Ich frage mich, in welchem Interesse sie liegen.«

Das Zugeständnis zu einer Reform des »Petersburger Dialogs« habe die Kanzlerin am Rande der Kabinettssitzung am vergangenen Mittwoch Steinmeier abgerungen, schreibt der »Spiegel«. So solle die enge Verbindung des Dialogs mit dem Deutsch-Russischen Forum, das von Steinmeiers Vertrautem Matthias Platzeck (SPD) geleitet wird, getrennt werden.

Platzeck hatte unlängst gefordert, die Krim-Frage neu zu überdenken. »Die Annexion der Krim muss nachträglich völkerrechtlich geregelt werden, so dass sie für alle hinnehmbar ist.« Da gebe es »verschiedene Möglichkeiten«. Dazu gehörten finanzielle Leistungen und eine Wiederholung des Referendums unter Kontrolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. »Das müssen Kiew und Moskau aushandeln«, so Platzeck. Er hatte den Westen zudem aufgefordert, gegenüber Russlands Präsidenten Wladimir Putin nachzugeben. »Wir müssen also eine Lösung finden, bei der Putin nicht als Verlierer vom Feld geht.«

Platzecks Vorstoß stieß bei dem Unionspolitiker Andreas Schockenhoff auf Kritik. »Wer Völkerrechtsbruch und militärische Aggression legalisieren will, dem fehlt die kritische Distanz gegenüber den russischen Partnern«, sagte er. Agenturen/nd

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