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Karpows Präzision, Fischers Mut

Mit filigraner Spieltechnik verteidigt Magnus Carlsen seinen WM-Titel gegen Vishy Anand

  • Dagobert Kohlmeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Norwegen feiert Schach-König Magnus Carlsen. Carlsen erhielt für seinen zweiten WM-Sieg viel Lob, für die Zukunft erwarten die Experten nun ein Duell zwischen Carlsen und dem Italiener Caruana.

Mit dem vorzeitigen 6,5:4,5-Sieg in Sotschi gegen Viswanathan Anand hat Magnus Carlsen erneut seine Ausnahmestellung als bester Schachspieler der Gegenwart bewiesen. »Es war ein schweres Match, und ich bin glücklich, meinen Titel verteidigt zu haben«, waren die ersten Worte des Norwegers nach dem letzten Zug. Insgesamt hatte Carlsen dreimal gewonnen, einmal verloren, sieben Partien endeten remis.

Der 23-jährige war mit einer Erkältung in das elfte Spiel gegangen, welches er als härtestes des gesamten Duells bezeichnete. In der Spanischen Partie versuchte Anand alles, seinen Rückstand wettzumachen, doch sämtliche Bemühungen scheiterten am präzisen Gegenspiel des jungen Weltmeisters, der die besseren Nerven bewies und ihn am Ende auskonterte.

Zum vierten Mal im Match wählte der Inder mit Schwarz die Berliner Verteidigung der Spanischen Partie und war damit vielleicht nicht optimal beraten. Beide Seiten spielten auf Gewinn, wobei Anand sogar einen Turm für einen Läufer opferte. Aber er verrechnete sich und räumte später ein, in der entscheidenden Phase nicht mehr klar gedacht zu haben. Mit seiner riskanten Strategie rollte der Inder quasi einen roten Teppich für den Norweger aus. Der Endspielvirtuose Carlsen hatte danach keine Mühe mehr, seinen Materialvorteil technisch sauber zu verwerten.

»Ich habe etwas riskiert und bin dafür bestraft worden. Es war enger als im letzten Jahr, aber am Ende muss ich zugeben, dass er besser gespielt hat als ich«, zeigte sich der Inder als fairer Verlierer. Im vorigen Herbst war Anand in seiner Heimatstadt Chennai von Carlsen eindrucksvoll entthront worden, der damals mit 22 Jahren zweitjüngster Schachweltmeister aller Zeiten wurde.

Inzwischen ist der Mozart des Schachs erwachsen geworden und der Großverdiener unter den Brettkünstlern. Nach dem ersten WM-Gewinn ließ das clevere Management des Norwegers den Namen Carlsen als Marke eintragen. Das Time-Magazin zählte Carlsen zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten. Turnierveranstalter, darunter auch in Dortmund, können sich das Startgeld für den Superstar heute nicht mehr leisten. Ein Werbevertrag mit einer bekannten Jeansmarke bringt Carlsen zusätzliche Millionen ein. Die »Carlsen-Mania« in Norwegen hält an, im jüngsten Donald-Duck-Heft, das gerade in Oslo erschien, taucht der Schachheld als Comic-Figur auf.

Magnus Carlsens früherer Trainer Garri Kasparow, der die Hochbegabung seines Schülers schnell erkannte, beschreibt dessen außerordentliche Fähigkeiten so: »Er besitzt einzigartige Schachtalente. Ich würde sagen, dass er eine Kombination von Bobby Fischer und Anatoli Karpow ist. Weil Carlsen nicht nur Karpows Präzision und Fähigkeit hat, genau den besten Platz für die Figuren zu finden, sondern auch Fischers Entschlossenheit. Magnus kann bis zum letzten Moment und bis zur letzten Chance spielen. Einige Leute sagen, er könne Wasser aus einem Stein herausdrücken. Das bedeutet, er kann Siegeschancen auch in düster aussehenden Endspielen erkennen, Möglichkeiten, die man nur durch Nutzung kleinster, fast unsichtbarer Positionsvorteile erreichen kann.«

Kasparow glaubt, der Norweger habe den Rest der Schachwelt so weit hinter sich gelassen, dass er in den nächsten Jahren von keinem geschlagen werden kann. Wie es nun im WM-Zyklus genau weitergeht, hat der Weltschachbund FIDE noch nicht verkündet. Fest steht aber, dass es im kommenden Jahr kein Match um die Schachkrone gibt.

Der nächste Titelkampf findet erst 2016 statt. Bis dahin sitzt Carlsen, der am Sonntag 24 Jahre alt wird, auf dem Schachthron und wartet auf seinen Herausforderer. Dieser wird in einem WM-Kandidatenturnier ermittelt. Mit Fabiano Caruana hat dieses Jahr ein weiterer Jungstar auf sich aufmerksam gemacht. Der italienische Großmeister ist schon die aktuelle Nummer zwei der Weltrangliste und könnte vielleicht ein ernsthafter Kontrahent für Carlsen werden.

Carlsen - Anand, 11. Partie (Spanisch) 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.0-0 Sxe4 5.d4 Sd6 6.Lxc6 dxc6 7.dxe5 Sf5 8.Dxd8+ Kxd8 9.h3 Ld7 10.Sc3 h6 11.b3 Kc8 12.Lb2 c5 13.Tad1 b6 14.Tfe1 Le6 15.Sd5 g5 16.c4 Kb7 17.Kh2 a5 18.a4 Se7 19.g4 Sg6 20.Kg3 Le7 21.Sd2 Thd8 22.Se4 Lf8 23.Sef6 b5 24.Lc3 bxa4 25.bxa4 Kc6 26.Kf3 Tdb8 27.Ke4 Tb4 28.Lxb4 cxb4 29.Sh5 Kb7 30.f4 gxf4 31.Shxf4 Sxf4 32.Sxf4 Lxc4 33.Td7 Ta6 34.Sd5 Tc6 35.Txf7 Lc5 36.Txc7+ Txc7 37.Sxc7 Kc6 38.Sb5 Lxb5 39.axb5+ Kxb5 40.e6 b3 41.Kd3 Le7 42.h4 a4 43.g5 hxg5 44.hxg5 a3 45.Kc3 1-0

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