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Studie sieht Terrorgefahr gegen Atomkraftwerk auch in Cattenom

Fragen und Antworten zur Greenpeace-Studie zur Sicherheit französcher Kernreaktoren

  • Lesedauer: 4 Min.

Paris. Seit Wochen stellen Überflüge von Drohnen die Sicherheit französischer Atomkraftwerke infrage. Offizielle Stellen haben bisher keine Hinweise auf Urheber geben können. Was wäre, wenn Terroristen die Anlagen ausspionieren? Die Umweltorganisation Greenpeace hat Szenarien eines Anschlags von der Diplom-Physikerin Oda Becker aus Hannover untersuchen lassen.

Ist Atomkraft in Frankreich etwas Besonderes?

Durch den Ölschock der 1970er Jahre historisch bedingt setzt Frankreich seit Jahrzehnten fest auf Atomstrom. Das Land ist nach den USA größter Atomstromproduzenten weltweit. An 19 Standorten werden 58 Reaktoren betrieben. Der bisher weltweit führende Atomstromanteil von 75 Prozent soll mit einem neuen Energiegesetz bis 2025 auf 50 Prozent gesenkt werden. Präsident François Hollande will bis Ende 2016 mit Fessenheim den ältesten Reaktor stilllegen.

Warum sollte das Terroristen interessieren?

Frankreich könnte ohne Atomkraftwerke in eine Zwangslage geraten. Die Studie nennt weitere Gründe für terroristische Gruppen: die unmittelbare Wirkung auf die Stromerzeugung, den Symbolcharakter und die weltweite Aufmerksamkeit. Eine erfolgreiche Attacke gegen einen Mailer käme einem »Angriff auf alle Atomkraftwerke der Welt« gleich.

Welche Rolle könnten Drohnen dabei spielen?

Die Studie nennt drei Varianten »am plausibelsten«. Zum einen könnten die Flugobjekte in die Betriebe eingeschleuste Terroristen, sogenannte Innentäter, bei einem Anschlag unterstützen, etwa durch Anlieferung von Sprengstoff. Drohnen könnten auch einen Angriff aus der Luft vorbereiten und dafür »die Wirksamkeit der Abwehrmaßnahmen an den Atomkraftwerken« überprüfen sowie Sicherungsmaßnahmen ausspionieren. Solche Spähflüge könnten zudem der Vorbereitung eines Bodenangriffs von außen dienen.

Welche Atomkraftwerke wurden untersucht?

Die Studie hat sich als Beispiele drei Atomkraftwerke vorgenommen: Fessenheim, Cattenom und Gravelines. Fessenheim ist das älteste noch betriebene Atomkraftwerk. Es liegt ebenso in der Nähe zur deutschen Grenze wie Cattenom. Fessenheim und Gravelines gelten wegen ihres Alters nicht nur als sehr anfällig, sondern auch als besonders verwundbar gegen externe Einwirkungen, weil der Reaktorkern nur von einer 90 Zentimeter dicken Hülle umgeben wird. Für Neubauprojekte gilt eine Gebäudestärke von rund zwei Metern als erforderlich.

Gibt es außer dem Reaktor noch andere sensible Bereiche?

Die Studie macht auch Lagergebäude für abgebrannte Brennelemente als Schwachstelle aus. Dort werden Brennelemente in einem Becken für mindestens zwei bis drei Jahre aufbewahrt. Die Lagerbecken sind in separaten Gebäuden untergebracht. Die Studie verweist auf Angaben der Atomaufsicht ASN, wonach diese Gebäude nur ein dünnes Metalldach und Betonwände von 30 Zentimeter Stärke haben.

Wie könnten Angriffe aussehen?

Eingeschleuste Terroristen könnten mit Unterstützung von außen handeln. »Bereits kleine Sprengstoffmengen (in der Größenordnung von einigen Kilogramm) könnten so einen Kernschmelzunfall mit gravierenden radioaktiven Freisetzungen auslösen«, schreibt Diplom-Physikerin Becker. Untersucht hat sie auch einen Hubschrauberangriff und den Beschuss von Atomkraftwerken mit illegal beschafften tragbaren panzerbrechenden Lenkwaffen. Mehrere Treffer an zuvor von Drohnen ausspionierten Stellen könnten Reaktormantel oder Becken der Lagerwände zunächst durchschlagen und so ausreichende Lücken für spezielle Sprengköpfe schaffen.

Welche Folgen könnte ein Anschlag haben?

In den Reaktoren würden Druckwelle und Hitze sicherheitsrelevante Komponenten, Sensoren und Steuerleitungen zerstören. »Die erforderliche Kühlung des Reaktorkerns würde mit großer Wahrscheinlichkeit komplett ausfallen und ließe sich zudem nicht kurzfristig wieder herstellen«, schreibt die Wissenschaftlerin. Ein Kernschmelzunfall wäre »dann nahezu unvermeidbar«. Bei den Lagerbecken könnte nach einem Anschlag Kühlwasser auslaufen. Ohne ausreichend schnelle Kühlung drohte ebenfalls ein schwerer Unfall mit hohen radioaktiven Freisetzungen.

Welche Regionen könnten von Kontaminationen betroffen sein?

Bei einem Kernschmelzunfall mit beschädigter Hülle bleibt laut Studie »extrem wenig Zeit« für eine Evakuierung der Region. Es drohten für Hunderttausende Menschen »teils lebensbedrohende Strahlendosen«. Durch die grenznahe Lage der drei Atomkraftwerke Gravelines, Fessenheim und Cattenom könnten je nach Wettersituation weite Teile des Saarlands oder von Rheinland-Pfalz, von Frankreich, Belgien, der Schweiz, Österreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden sowie andere Bereiche Europas bis hin nach Schweden betroffen sein. dpa/nd

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