nd-aktuell.de / 27.11.2014 / Politik / Seite 13

Das Rätsel um Suppenkaspars Grab

Ein Hamburger Hobby-Historiker ging einer Legende aus der Kindheit mancher Hansestädter nach

Dort ist der Suppenkaspar begraben - das bekam Michael Borkowski als Kind zu hören, wenn er am Grabstein in Form einer Suppenschüssel vorbeikam. Später wollte der Hamburger das Rätsel lösen.

Hamburg. Wenn Michael Borkowski als Kind seine Suppe nicht essen mochte, nahm seine Mutter ihn mit zum Spaziergang auf den Friedhof der Christanskirche in Hamburg-Ottensen. Dort zeigte sie ihm das Grab vom Suppenkaspar und mahnte ihn: »Wenn Du nicht aufisst, endest Du so wie der kleine Kaspar.«

Klein und unscheinbar steht noch heute ein Steinsockel mit einer Schüssel direkt vor dem Zaun, der das Grab des berühmten Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock umgibt. Eine Inschrift hat das Grab mit der Suppenschüssel nicht mehr. Die Geschichte habe ihn als Kind sehr beeindruckt und ihre Wirkung erzielt, sagt der heute 54-jährige Borkowski. Als Erwachsener wollte der Hobby-Historiker wissen, was es wirklich mit dem Grab auf sich hat. »Niemand wusste mehr, wer dort wirklich begraben ist«, sagt Borkowski. Er durchforstete verschiedene Archive, fand jedoch keinerlei Informationen zu dem Grab. Ein Buch mit technischen Zeichnungen schließlich brachte die Antwort: Das Grab ist nicht die Ruhestätte vom Suppenkaspar, sondern von Samuel Thornton, dem Sohn einer wohlhabenden Hamburger Bankiersfamilie.

Um herauszufinden, wann Samuel dort begraben wurde, verglich Borkowski verschiedene Gemälde vom Friedhof. Dabei stellte er fest, dass der Grabstein für den Bankierssohn irgendwann zwischen 1816 und 1822 aufgestellt worden sein muss. Und was heute an eine Suppenterrine erinnert, soll eine Urne darstellen. Die Entstehung der Legende erklärt sich Borkowski mit der Hungersnot zur Jahrhundertwende, als es für Eltern umso schwieriger war, wenn die Kinder die wenigen erschwinglichen Lebensmittel nicht essen wollten. »So wurde vielleicht dieses Grab genutzt, um ihnen die Geschichte vom Suppenkaspar zu erzählen - damit sie ihren Teller immer leeren.«

Nachdem Borkowski als Bürgerreporter einen Artikel für das »elbe-Wochenblatt« über das sagenumwobene Grab geschrieben hatte, bekam er prompt Leserbriefe: von einer älteren Dame etwa, die ebenfalls mit der Legende aufgewachsen war. Sie schrieb ihm, dass schon ihre 1904 geborene Mutter vom Grab des Suppenkaspars erzählt habe. Sie habe immer gedacht, die Legende sei nur der Phantasie ihrer Mutter entsprungen. epd/nd