Feen sind auch nur Menschen

Im Wintergarten befriedet »Peter Pan« mutig und turbulent sein Nimmerland

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Das kommt davon, wenn man in fremde Schlafzimmer eindringt und dort lockende Liedchen singt: Peter Pan und seine Fee Naseweis fordern im Fensterrahmen die Sprösslinge der Familie Darling auf, ihnen doch ins Nimmerland zu folgen, wo die elternlosen Kinder leben, wo es keine Schule und keinen Regen, dafür volle Freiheit gibt. Vor Begeisterung verliert Peter seinen Schatten und muss zurückkehren, als die Junior-Darlings nach Mutters Gute-Ruh-Song »Wenn die Nacht am stillsten steht« schon süß schlummern. Pans Tränen wecken Wendy, die älteste auf, und die hat auch den Schatten verwahrt. So kommt, was kommen muss: Das Kindertrio folgt dem Verführer ins Land, an das man nur fest glauben muss, damit es existiert. Per Leinwand fliegen die fünf davon, und so beginnt im Wintergarten das große Abenteuer für Groß und Klein.

»Zimt & Zauber« heißt es alljährlich, führt aber jeweils an andere Schauplätze. Diesmal in jenes Land, das nicht zuletzt durch Michael Jacksons Anwesen Neverland berühmt geworden ist. Nadine Greitzke & Fabian Gröger haben nach dem populären Roman von James Matthew Barrie die Geschichte um den Jungen, der nie erwachsen werden will, für die Showbühne bearbeitet, Gröger hat auch die Regie übernommen, und Greitzke ist als Nachtlied singende Mutter mit zugange. Von ihr und Bijan Azadian stammen zudem die Liedtexte, die Azadian teils eingängig vertont hat. Und weil auch der Kinderzirkus Cabuwazi-Springling beteiligt ist, kommt die Artistik nicht zu kurz. Aus dieser Melange speist sich, was die Darlings in Nimmerland erleben.

Zunächst fängt das nicht gut an, denn Naseweis behauptet, ein böser Vogel habe sie verfolgt. Als der abgeschossen wird, trifft es Wendy am Kopf: aus Eifersucht seitens der Fee, weil sie nicht will, dass Wendy die neue Mutter der Elternlosen wird. Feen sind eben auch nur Menschen. Mit Balancen auf rollenden Kugeln und erschwerender Jonglage sowie Rhönrad-Akrobatik lässt es sich gut an, wären da nicht Käptn Hook, der berüchtigte Einarmige, und seine willfährige Mannschaft. Er will Peter Pan verderben, weil der seinen fehlenden Arm in einen Krokodilmagen expediert hat und es den Alligator seither nach mehr Kapitänsfleisch gelüstet. Als Lockvogel soll Tigerlilli, die Tochter des Indiohäuptlings, gefangen werden, und wenn Pan sie befreien kommt, kann man ihn festnehmen. Bei der Gelegenheit könnte man gleich alle Kinder umbringen. Das treibt glänzende Nixen mit Äquilibristik und Kontorsion auf und um das Gestell eines Würfels.

Dann verwirren sich die Verhältnisse. Der Häuptling hat die Darling-Kinder als vermeintliche Entführer verhaften lassen, wirft Messer auf John und will ihn opfern. Doch Pan, pfiffig, weist mit Hooks Stimme die Piraten an, Tigerlilli wieder frei zu lassen. Der wütende Käptn tanzt Tango mit Naseweis, bis er Peters Versteck weiß, und verklebt der Fee die Flügel mit Rum, woran sie fast stirbt.

Nur weil alle Saalkinder fest an Feen glauben und die Cabuwazis wie chinesische Vögel sehenswert an Trapezen turnen, erwacht Naseweis wieder. Mutig stürzt sich Pan in Hooks Lager, befreit in einem Husarenstreich die dort gefangenen Darlings und schickt den Käptn samt Mannschaft zum Klabautermann. Denn auch das herbeigeeilte Krokodil hat schon gefräßig das Maul aufgesperrt. Die Darlings dürfen heimkehren, Peter erhält ein Abschiedküsschen, alle Beteiligten, rund 25 sowie vier Solisten, vereinen sich im gefühligen Nimmerland-Finalsong.

Flott sind bei so viel Turbulenz, Lämpchen-Horizont und LED-Wand-Flackern die knapp 90 Minuten verstrichen und haben für die Kunst des Musicals kindliche Herzen aufgeschlossen. Gewiss schlagen die zuvörderst für Peter Pan, als der Lars Schmidt mit guten Gaben gesegnet ist: leuchtende Stimme und strahlende Augen bei bühnenfüllender Spielaktion, ein smarter Typ großer Chancen und frischer Absolvent der Universität der Künste. Als Bösewicht Hook bietet ihm künstlerisch souverän Paroli der berufserfahrene Kenneth Posey in dieser temporeich spannenden Halbplayback-Inszenierung für die ganze Familie.

Termine bis Februar 2015, Wintergarten, Potsdamer Straße 96, Tiergarten, Kartentelefon: (030) 58 84 33, www.wintergarten-berlin.de

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