Die Angst vor dem Wolf geht um

Wegen gerissener Schafe schlagen französische Schäfer Alarm. Sie fordern die Erlaubnis von Treibjagden

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Immer öfter werden Schafe in Frankreich von Wölfen gerissen. Umweltministerin Ségolène Royal erlaubte nun mehr Abschüsse.

Für einen französischen Schäfer waren die Wölfe fast tödlich: Im vergangenen Mai griffen im südostfranzösischen Naturschutzgebiet Mercantour nahe der Grenze zu Italien sieben Wölfe die Herde von Dominique Deminal an. Die Schafe rannten in Panik auf einen Felsabhang zu, stürzten hinab und starben. Der Schäfer war mittendrin und wäre mitgerissen worden, wenn er sich nicht in letzter Sekunde an einem Baum hätte festklammern können.

Auch wegen dieses Vorfalls kamen kürzlich mehr als 30 Schäfer aus Südfrankreich und dem Zentralmassiv unter dem Eiffelturm in Paris zusammen, um gegen die wachsende Gefahr durch Wölfe zu demonstrieren. Und mitgebracht hatten sie nahezu 300 ihrer Tiere. In einem offenen Brief an Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll und seine Kollegin vom Umweltressort Ségolène Royal fordern die Schafzüchter konsequente Maßnahmen zum Schutz ihre Herden vor den Raubtieren. Im ersten Halbjahr 2014 wurden allein im südostfranzösischen Departement Alpes-Maritimes 1700 Schafe von Wölfen gerissen und im ganzen Land rund 5000. Im vergangenen Jahr waren es landesweit 6000 Schafe.

Wegen der Zunahme solcher Angriffe haben die Behörden 2013 den Abschuss von 24 Wölfen genehmigt. Doch die damit beauftragten Jäger konnten letztlich nur acht erlegen. Die Wölfe sind schlau, sie halten sich versteckt und gehen den Menschen aus dem Weg. Mehr von ihnen könnte man nur durch Treibjagden zur Strecke bringen, aber die sind vorläufig noch verboten. Da Wölfe vom Aussterben bedroht sind, stehen sie seit dem Berner Abkommen von 1979 europaweit unter Artenschutz. Jeder Abschuss muss daher von den Behörden genehmigt werden.

Jahrhundertelang gab es in Frankreich viele tausend Wölfe, obwohl sie erbarmungslos gejagt wurden. Erst die Verbesserung der Jagdgewehre Mitte des 19. Jahrhunderts und die Erhöhung der staatlichen Abschussprämien ab 1880 dezimierten die Zahl der Wölfe rasant. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es bereits keinen einzigen mehr in ganz Frankreich. Doch seit 22 Jahren sind sie zurück - am massivsten im Mercantour. Denn in Italien wurden die Wölfe nie ganz ausgerottet. Viele Hundert leben in den Bergmassiven im Zentrum des Landes und ein Teil von ihnen ist nach und nach gen Norden und dann auch über die Grenze nach Frankreich gewechselt.

Die Naturschutzverbände betrachten die Wölfe als einen Gewinn für die Artenvielfalt. Sie argumentieren, die Schafzüchter müssten einfach nur lernen, mit den Wölfen zu leben. »Koexistenz ist ok«, meint der Schäfer Gérard Millischer, »aber nur, wenn die Wölfe aufgrund schmerzhafter Erfahrungen lernen, dass sie um Schafherden einen Bogen machen müssen, weil dort für sie Gefahren lauern.«

Die Schafe sind für die Wölfe nur zu oft eine leichte Beute, denn sie sind schwer zu schützen. Hunde können die Wölfe nicht abschrecken und selbst Elektrozäune, mit denen die Herden in der Nacht gesichert werden sollen, sind für sie oft kein unüberwindliches Hindernis. Bei manchen Angriffen werden bis zu 80 Schafe auf einmal gerissen. Die Behörden zahlen den Schäfern eine Entschädigung von 160 Euro pro Schaf. Das bezeichnen die Züchter selbst als »korrekt«. Es entspricht dem Wert eines schlachtreifen Schafes. Bedingung ist jedoch, dass man den Kadaver vorweisen kann. Doch oft werden diese von den Wölfen verschleppt.

Insgesamt schätzt man heute die Zahl der Wölfe in Frankreich auf mindestens 300 und jedes Jahr werden es 15 bis 20 Prozent mehr. Sie sind schon in 30 von 100 Departements präsent, vor allem in den Alpen im Südosten des Landes, in den südwestfranzösischen Pyrenäen, im Zentralmassiv und in den nordostfranzösischen Vogesen. Doch auch in den Wäldern des Flachlands gibt es mehr und mehr Wölfe, selbst 200 km vor den Toren von Paris.

Angesichts der immer massiver werdenden Klagen der Schäfer, die von den Bauernverbänden unterstützt werden, hat Umweltministerin Ségolène Royal jetzt Bereitschaft signalisiert, bei einer örtlichen Häufung von Überfällen den Schutz der Wölfe zu lockern und auch Treibjagden zuzulassen. Zunächst jedoch hat sie die Zahl der pro Jahr zum Abschuss freigegebenen Tiere von 24 auf 36 aufgestockt. Doch auch dieses Jahr konnten Jäger lediglich elf Wölfe erlegen. Noch hört man von den französischen Schäfern nicht die Forderung, so zu verfahren wie in Spanien. Ihre Kollegen dort dürfen sich und ihre Herde mit Jagdgewehren verteidigen.

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