Angst vor sinkenden Preisen

Die Notenbanken weltweit schauen gebannt auf die Inflationsrate

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Spannung wartet die Finanzwelt auf die Sitzung des EZB-Rates am Donnerstag. Wird die Europäische Zentralbank auf die befürchtete Deflation reagieren?

»Stabile Preise sind schlecht, und Deflation bedeutet das Ende der Welt, wie wir sie kennen.« So oder so ähnlich lautet das angsterfüllte Credo von Regierungen, Wissenschaft und Notenbanken. Die Inflationsrate im Euroraum ist im November auf 0,3 Prozent gefallen - bis Januar könnte sie sogar auf null sinken.

Die Null gilt als Einstieg in die Deflation, in eine Preisspirale, die nach unten zeigt. Für viele Experten ein Horrorszenario. Erinnerungen werden wach an die Weltwirtschaftskrise 1929. Sie ist laut Ex-Fed-Chef Ben Bernanke der »heilige Gral der Makroökonomie«: In den Jahren 1931 und 1932 während der Großen Depression wurden in den USA zweistellige Deflationsraten gemessen. »In der Vorstellung der ökonomischen Zunft ist das wirtschaftliche Desaster somit unauslöschlich mit einer Phase massiver Deflation verknüpft«, warnt Bernd Weidensteiner, Analyst der Commerzbank.

Die heutigen Aussichten sind nicht ganz so düster. Aber als aktuelles Horrorbild führt die Anti-Deflations-Liga Japan an: Um durchschnittlich 0,5 Prozent sinkende Preise pro Jahr sorgten für zwei »verlorene Jahrzehnte«. Das Inselreich mit der schrumpfenden Bevölkerungszahl und der höchsten Staatsverschuldung weltweit droht den Anschluss an die aufsteigenden Schwellenländer in seiner Nachbarschaft zu verlieren.

Auch die Eurozone könnte nun in eine Deflationslethargie abrutschen. Stabile oder gar spürbar sinkende Preise schaffen eine Reihe von handfesten Problemen: Die Nachfrage wird gebremst, weil die Verbraucher bei größeren Käufen auf noch niedrigere Preise warten; da die Zinsen nicht wesentlich unter null fallen können, erreicht der Realzins zweistellige Werte, wodurch die privaten Investitionsausgaben fast vollständig zum Erliegen kommen. Und auch der Staat gerät in die Bredouille, weil das Steueraufkommen und die Euro-Schuldenquote von der Wirtschaftsleistung abhängen - und der Kuchen namens Bruttoinlandsprodukt kleiner wird.

Dennoch kann eine moderate Deflation auch positive Wirkungen zeitigen. Es kommt darauf an, welche Preise sinken. So fällt die Inflationsrate zwar im Trend seit dem Beginn der Finanzkrise 2007, doch der jüngste Fall folgt vor allem den rückläufigen Energiepreisen. Sie sind »eine gute Nachricht« für die Weltwirtschaft, sagt die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde. Sie erwartet ein »zusätzliches Wirtschaftswachstum« von bis zu 0,8 Prozent in den Industrieländern wie der Bundesrepublik, die auf Ölimporte angewiesen sind. Selbst der kein bisschen keynesianische Bundesbank-Boss Jens Weidmann sieht in den sinkenden Energiepreisen »fast ein kleines Konjunkturprogramm«.

Unterm Strich, da sind sich selbst linke Ökonomen vergleichsweise einig, schadet eine allgemeine Deflation mehr als sie nützt, weil im modernen Kapitalismus eine Inflationsrate faktisch eingepreist ist. So hat die Europäische Zentralbank als Zielvorgabe auch eine Preissteigerungsrate von »knapp zwei Prozent«. Diese zu erzielen, versucht die EZB unaufhörlich - bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Das verstärkt die Nervosität. EZB-Präsident Mario Draghi befürchtet, dass sich die mittelfristigen Inflationserwartungen weiter aus dieser Verankerung von zwei Prozent lösen. Breit angelegte Käufe von Unternehmens- und vor allem Staatsanleihen durch die Notenbank scheinen - trotz heftiger Kritik aus Politik und Wissenschaft - daher nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Ob diese Tränke reichen wird, um die Pferde zum Saufen zu zwingen, ist zweifelhaft. Bislang konnten selbst hunderte Milliarden schwere Geldspritzen die Banken nicht dazu bewegen, der realen Wirtschaft mehr Kredit zu geben. Unternehmen in der dauerkriselnden Eurozone fehlt es nämlich an Nachfrage von Verbrauchern und Gewerbe - sie fragen daher nur wenige Darlehen nach oder es mangelt an Sicherheiten für die Kreditinstitute. Dagegen ist es der EZB mit ihrem billigen Geld gelungen, eine Vermögensinflation zu finanzieren. DAX, Dow Jones und Immobilienpreise sind daher auf einem Höhenflug wie vor der Krise.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal