Die rollende Arztpraxis steht bald still

In Niedersachsen scheitert ein preisgekröntes Projekt nun am Geld

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit 16 Monaten versorgen Mediziner in Niedersachsen mit einer Praxis im Kleinbus mehrere Dörfer, in denen es keine Ärzte mehr gibt. Doch das jetzt preisgekrönte Projekt wird demnächst eingestellt.

Der Bäckerwagen und auch der rollende Fleischer sind längst vertraute Bilder in Dörfern, in denen der Tante-Emma-Laden dicht machen musste. Warum nicht auch eine Arztpraxis auf Räder stellen und in Orte ohne niedergelassenen Mediziner bringen? Lässt sich so dem Ärztemangel auf dem Lande begegnen? Diese Fragen beantworteten mehrere Initiatoren, voran die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, im August vergangenen Jahres mit einem Kleintransporter. Hinein kamen Liege, Laborgeräte, EKG und vieles mehr, was der mobile Doktor benötigt - und schon startete die »rollende Arztpraxis.«

Mit ihr fahren seither abwechselnd drei freiberuflich arbeitende Ärzte über mehrere Dörfer im Landkreis Wolfenbüttel. Noch. Denn die mobile Gesundheitsversorgung im Süden Niedersachsens ist ein in dieser Form bundesweit einmaliges Modellprojekt, das zum Ende 2014 befristet ist und nicht verlängert wird.

Vor allem viele ältere Menschen ohne Auto, denen das Arztmobil umständliche Busfahrten zu kilometerweit entfernten Praxen erspart, reagieren kopfschüttelnd auf das Aus für den beliebten Service. Gern kamen die Patienten etwa im 700-Seelen-Dorf Winnigstedt am Schützenhaus zusammen, hielten noch einen Klönschnack, ehe der rollende Doktor dort stoppte und herein bat zu Blutdruckmessen, Abhorchen, Rezept ausstellen. Willkommen sind aber nicht nur Senioren, sondern alle Dorfbewohner, die bei einer der sechs am Modellprojekt engagierten Krankenkassen versichert sind.

Absurd mag es den Nutzern der Praxis erscheinen, dass diese geschlossen wird, ob wohl sie noch am Dienstag hoch gelobt und sogar ausgezeichnet worden war: mit dem Innovationspreis der Stiftung »Deutschland - Land der Ideen«. Auf der Verleihungsfeier bilanzierte Wolfenbüttels Landrätin Christiana Steinbrügge (SPD): »Das Angebot wurde gut angenommen«. Doch wohl nicht gut genug für die Maßstäbe eines auch im Gesundheitswesen vom Primat des Geldes dominierten Systems. »Zu unwirtschaftlich«, so lautet das Urteil über die Praxis. Noch sei ihre Auslastung zu gering, meint die Landrätin. Nur mit Subventionen sei das Projekt möglich gewesen, gibt Geschäftsführer Stefan Hofmann von der Kassenärztlichen Vereinigung zu bedenken und berichtet: Insgesamt 14 Partner unterstützten die Sache. Und: Die Ärztekammer hat die Ausnahmegenehmigung, die eine fahrbare Praxis benötigt, nur bis Ende 2014 erteilt.

Vom Land Niedersachsen gibt es kein Geld fürs Weiterfahren des Ärztemobils. Immerhin sieht das Gesundheitsministerium der rot-grünen Regierung in dem Projekt eine Anregung dafür, »wie in sehr schlecht versorgten Landstrichen ohne niedergelassene Hausärzte« vor allem für hochbetagte Menschen »eine wohnortnahe Versorgungsalternative« geschaffen werden kann. »Zurzeit arbeiten wir aber daran, dass das nicht notwendig ist«, betonte Heinke Traeger, Sprecherin des Ministeriums, gegenüber »nd«. Denn: »Der Arzt auf der Straße im Auto sollte der Ausnahmefall bleiben.«

Verschrottet wird die rollende Praxis nicht. Interesse an ihr gibt es im In- und Ausland, so in der Schweiz und Dänemark. Und vielleicht gibt es in Deutschland eine Neuauflage, wenn der Ärztemangel bedrohlicher wird. Schon Ende 2013 waren zum Beispiel in Niedersachsen 480 Landarztstellen unbesetzt, und in die Provinz zieht es nur sehr wenige junge Mediziner.

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