Bayern eröffnet Vertretung in Prag

Seehofer spricht von einem »historischen Augenblick« und lädt Regierungschef Sobotka ein

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Lange stand der Streit über die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg den Beziehungen zwischen Bayern und Tschechien im Weg. Jetzt hat der Freistaat eine Repräsentanz in Prag.

Prag/München. Der Freistaat Bayern ist 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit einer offiziellen Repräsentanz im Nachbarland Tschechien vertreten. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka eröffneten am Donnerstag die Vertretung in der Hauptstadt Prag. »Wir erleben einen historischen Augenblick«, sagte Seehofer. Mit Blick auf die bayerisch-tschechischen Beziehungen erklärte er: »Wir müssen jetzt Schritt für Schritt weitermachen, ohne uns zu überheben.« Vor allem die Schienenverbindung von München nach Prag müsse dringend besser werden. »Da sind wir in der Pflicht.«

Seehofer lud Sobotka zu einem Besuch in München ein. Im ersten Halbjahr 2015 werde es dann vor allem um Wirtschaft und Wissenschaft gehen. 2016 soll es eine gemeinsame tschechisch-bayerische Landesausstellung über den römisch-deutschen Kaiser und böhmischen König Karl IV. (1316-1378) in Nürnberg und Prag geben. Tschechiens Ministerpräsident Sobotka betonte, Bayern sei für sein Land der prädestinierte Partner in der Region. »Wir sprechen offen miteinander.« Für die nahe Zukunft wünscht er sich gemeinsame Bildungsprojekte, etwa Tschechisch-Unterricht an bayerischen Schulen.

Die Repräsentanz soll Ansprechpartner für Politik, Wirtschaft, aber auch für die tschechische Öffentlichkeit sein und als »Schaufenster Bayerns in Tschechien« dienen. Damit unterscheidet sich die Vertretung von Wirtschaftsrepräsentanzen, die der Freistaat in mehr als 20 Städten weltweit unterhält. Diese kümmern sich in erster Linie um Unternehmen und Investoren.

Die politischen Beziehungen zwischen München und Prag waren lange Zeit durch die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg belastet. Insbesondere die Benes-Dekrete, die die Vertreibung und Enteignung legitimierten, waren ein großer Streitpunkt. Erst unter Bayerns Regierungschef Seehofer wurden die Beziehungen spürbar verbessert.

Für die tschechische Öffentlichkeit soll es in der Repräsentanz, die sich in einem historischen Stadtpalais befindet, neben Konferenzen und Diskussionsforen auch Konzerte, Lesungen und Ausstellungen geben. Im bayerischen Haushalt 2016 sind für die Vertretung 637 000 Euro vorgesehen. Die Miete beläuft sich nach Angaben der Staatskanzlei auf 85 000 Euro.

Der Chef der oppositionellen SPD-Fraktion im bayerischen Landtag, Markus Rinderspacher, bezeichnete die Eröffnung der Vertretung als ein »wunderbares Signal für die sich vertiefende Partnerschaft und Freundschaft« zwischen den beiden Ländern. Auch die Grünen begrüßten die Eröffnung, forderten aber weitere Schritte wie mehr tschechischen Sprachunterricht. Es gebe auf bayerischer Seite »immer noch viel zu wenige, die die tschechische Sprache lernen«, meinte Fraktionsvorsitzende Margarete Bause. Beide Oppositionspolitiker kritisierten nochmals die Politik von Seehofer-Vorgänger Edmund Stoiber. Der damalige CSU-Chef hatte sich stets geweigert, als Ministerpräsident offiziell nach Prag zu reisen.

Der Sprecher der sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt (CSU), begrüßte die neue Vertretung. »Das ist ein weiterer Schritt bei der permanenten Verbesserung des Verhältnisses in den vergangenen Jahren«, sagte er der Mediengruppe »Straubinger Tagblatt«/»Landshuter Zeitung«. »Das Büro bedeutet noch mehr Nachbarschaftlichkeit - und je mehr Nachbarschaftlichkeit, umso besser ist das für Bayern und Böhmen, aber auch für die Sudetendeutschen.« dpa/nd

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