nd-aktuell.de / 10.12.2014 / Kommentare / Seite 4

Erfurter Konjunktiv

Carsten Hübner über das Verhältnis von Union und AfD und eine Staatspartei im Ausnahmezustand

Carsten Hübner

Geschichte kennt keinen Konjunktiv, heißt es. Und da ist ganz sicher etwas dran. Doch um Geschehenes wirklich zu verstehen, muss man sich hin und wieder die Freiheit nehmen und fragen, was hätte passieren können. Zum Beispiel an diesem 5. Dezember 2014 im Erfurter Landtag. Nehmen wir an, Bodo Ramelow (LINKE) hätte als Ministerpräsidentenkandidat der rot-rot-grünen Koalition auch im zweiten Wahlgang nicht die erforderlichen 46 Stimmen bekommen. Nehmen wir weiterhin an, die CDU hätte daraufhin Klaus Dicke, den früheren Rektor der Friedrich-Schiller-Universität zu Jena ins Rennen geschickt. Und nehmen wir schließlich an, der Schachzug wäre aufgegangen und Dicke mit knapper Mehrheit gewählt worden. Was wäre dann gewesen? Dann wäre erstmals mit den Stimmen der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD) ein Ministerpräsident gewählt worden, trotz aller Abgrenzungsbemühungen Angela Merkels und der Bundes-CDU. Der Dammbruch nach rechts wäre perfekt gewesen.

Was wäre wenn? Warum ist das wichtig? Es ist wichtig, weil so oder so ähnlich das Planspiel von Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring ausgesehen haben soll, zumindest wenn man dem »Spiegel« Glauben schenkt. Mohring, Mitglied im konservativen Berliner Kreis der CDU, ist einer der inhaltlichen Scharfmacher der Thüringer Union. Gleichzeitig gibt er sich gern jugendlich undogmatisch, was nicht zuletzt sein Werben für Schwarz-Grün dokumentieren soll. Eine zur Schau gestellte Ambivalenz, die der Tabubruch nach rechts heute offensichtlich braucht, um nicht als ewig-gestrig daherzukommen.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den 31. Oktober 2001. An diesem Tag wurde Ole von Beust (CDU) zum Ersten Bürgermeister von Hamburg gewählt, mit den Stimmen der »Partei Rechtsstaatliche Offensive« (PRO), inhaltlich und personell eine der Quellparteien der heutigen AfD. Zu seinem Stellvertreter und Innensenator machte er PRO-Frontmann Ronald Schill, in der Hansestadt bekannt und gefürchtet als »Richter Gnadenlos«. Über seine Motive, den rechten Rand hofiert zu haben, gab von Beust Jahre später freimütig Auskunft: »Schill war ein Mittel zum Zweck. Die Koalition mit ihm war ein machtpolitisches Kalkül. Ich war der Meinung, nach 44 Jahren muss die SPD weg.« Nach dem Scheitern der Zusammenarbeit mit Schill 2003 konnte von Beust übrigens noch für Jahre weiter regieren: 2008 bildete er mit der Grün-Alternativen Liste die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene.

Die Absprachen von Mohring mit dem Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke könnten noch als Entgleisung eines ehrgeizigen Nachwuchspolitikers abgetan werden, selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass zumindest der Fraktionsvorstand seit November informiert war. Doch tatsächlich ist der Kreis derer in der Thüringer CDU, die nach 24 Regierungsjahren einen Machtverlust mit allen Mitteln verhindern wollten, deutlich größer.

So rief die Mittelstandsvereinigung der Thüringer CDU ausgerechnet für den 9. November auf den Erfurter Domplatz, um unter dem Motto »Wir sind das Volk« ein Lichtermeer gegen Rot-Rot-Grün zu entfachen. Rund 4000 Empörte fanden sich ein, darunter auch die AfD-Prominenz des Freistaates, Neonazis und Hooligans. Plakate aus der Mottenkiste des Kalten Krieges dominierten die öffentliche Wahrnehmung. Dazu kamen »Bodo raus«-Rufe und hysterische Schreiattacken auf die wenigen Andersdenkenden, die den Aufzug kritisch begleiteten. Dennoch feierte man die Veranstaltung als Erfolg und mobilisierte für den 4. Dezember direkt vor den Thüringer Landtag.

Zur selben Zeit herrschte auch in so mancher Amtsstube reges Treiben. Um den Neuanfang so schwer wie möglich zu machen, setzte man 200 Millionen Euro aus den Rücklagen kurzum zur Schuldentilgung ein. In der Staatskanzlei wurde zudem so viel altes Personal auf Planstellen gesetzt, dass die neue Regierung kaum personellen Handlungsspielraum hat. Der bisherige Umweltminister verweigerte sogar die persönliche Übergabe der Amtsgeschäfte. Eine Staatspartei im Ausnahmezustand.

Was wäre wenn? Warum ist das wichtig? Weil man aus dem Agieren von Mohring und eines Teils der CDU nicht nur ablesen kann, wozu sie bereit waren, um die Regierung Ramelow zu verhindern, sondern auch, wozu sie bereit sind, um wieder an die Macht zu kommen. Die Thüringer Landesregierung wird sich für aggressive Auseinandersetzungen wappnen müssen.