Diese Dinge der Akademie

Die Hochschule für Bildende Künste Dresden

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 6 Min.

Das Kuriosum des Jahres 2014: Beide sächsische Kunsthochschulen bestehen 250 Jahre. Leipzig hat inzwischen einigermaßen würdevoll abgefeiert. Dresden ist noch mittendrin. Gewiss gab es auch hier zunächst eine gewisse Ratlosigkeit, wie denn am trefflichsten eine solch lange akademische Tradition zu würdigen sei. Allzu viele Signale deuten gerade hier darauf hin, dass diese gerade abrupt gekappt wird, und unter dem Schlachtruf »Zu neuen Ufern!« das akademische Schiff in strudelnde Strömungen gelenkt wird. Da stoßen sich die Tendenzen mitunter gewaltig: Einerseits die extrem rückwärtsgewandte Restauration des feudalen kulturellen Erbes der Wettiner, andererseits das bedenkenlos schnelle Eingehen auf aktuelle Kunsttrends.

Da kam der Gast aus Übersee gerade recht. Marc Dion heißt er, und ist weltbekannt dafür, künstlerische Installationen nicht nur so aus dem hohlen Bauch zu machen, sondern von geradezu wissenschaftlicher Akribie gesteuert. Sein Sammeleifer ist legendär. Folgerichtig ist er in der Lage, vorhandene Kollektionen wichtiger pädagogischer Objekte fachgerecht zu werten und zu nutzen. Er hatte nach kurzer Zeit seines Hierseins die Idee, in die ja immer noch kriegsbeschädigten Ausstellungsräume rund ums Oktogon ein »Laboratorium der Kunst« zu installieren. »Die Akademie der Dinge« zeigt vergessene Schätze in Form von archivierten Studien- und Diplomarbeiten, von Gipsabgüssen und Glasdiapositiven, Pigmenten und Röntgenaufnahmen sowie Präparaten zur Anatomie des Menschen und der Tiere. So weit, so ganz prachtvoll. Nie öffentlich gesehen, nun also geschätzt und aufmerksam gewertet? Nein, eher effektvoll inszeniert zur Show.

Denn wir leben ja 2014, wo ohne Showeffekt nix läuft. Auf den roh und ruinös belassenen Wänden von der Willkür des Summarischen geprägt - ein Panoptikum. Der künstlerische Wert der auf der großen Fläche gezeigten 143 Malereien unterschiedlichen Formats allein macht die Sache hochgradig spannend. Holterdiepolter, alles durcheinander. Aber: Ist es nicht faszinierend, individuelle Vielfalt trotz dekretierter Solidität in den Bildern zu entdecken? Allein die Diplomarbeiten: 1953 Walter Womacka und 1955 Karl Heinz Jakob noch politisch bedeutungsschwanger. 1958 der Jahrgang von Johannes Müller, Peter Rohn, Günter Tiedeken und Wolfgang Wegener bereits befreit von diesem Diktum. 1981/82 Angela Hampel, Petra Kasten, Volker Köpp und Alfonso Lane Leite mit ersten Zeugnissen dessen, was sie heute noch namhaft macht. Und 1988 mit Jan Kretzschmar und Arend Zwicker Namen, von denen danach der allgewaltig werdende Kunstmarkt bereits nichts mehr wissen wollte.

Wieso eigentlich sind diese pikanten Wahrheiten nur versteckt, sozusagen zwischen den Zeilen des Gezeigten wahrnehmbar? Warum sind die ausgestellten vorzüglichen Proben grafischer Porträtkunst überhaupt nicht individuell identifizierbar? Heißt das, im Zuge einer letzten Wiederkehr von etwas Vergangenem nun die finale Entsorgung einzuleiten? Das traurige Ambiente der hier im Gegensatz zum Lifestyle der neuen Frauenkirche belassenen Ruine suggeriert nun mal Tristesse. Traurig ist ebenfalls, wenn der einzige schüchterne Ansatz einer Kommentierung des Gezeigten im Flyertext gleich mit der giftigen Denunzierung des von 1960 bis 1985 hier Anatomie lehrenden Gottfried Bammes als marxistisch-leninistischen Rassisten einhergeht. Jaja, an solche Seitenhiebe à la mode hat man sich schon gewöhnt. Da tröstet man sich am Ende lieber lachend bei der Verquickung von Gauklerfest-Requisiten mit originellen Kostümbildner-Entwürfen. Die Marc-Dion-Initiative im Albertinum mit dem »Wild Animal Salon« und im Grünen Gewölbe mit Kuriositäten fortzusetzen, ist zwar ganz originell, aber lediglich eine lockere Zugabe.

Wesentlicher scheint mir die Erörterung des Profils dieser Akademie. Absurd, wie gebremst der öffentliche Diskurs über die Ziele der hiesigen künstlerischen Einrichtungen und ihr zu berufendes Lehrpersonal stattfindet. Hinter der Kulisse allgemeinen Einverständnisses kocht die Gerüchteküche wie eh und je in dieser Stadt. Dass Fehlentscheidungen innerhalb des Hochschulapparates einmal von Studentenrevolten angegriffen und sogar korrigiert wurden, gab es komischerweise nur in der Diktatur. Das nun im Prekariat angekommene Künstlervolk gibt heute das Beispiel. Und je passiver die Studentenschaft agiert, umso aktiver realisiert die Finanzbürokratie die Vorgaben der den Markt dominierenden grauen Eminenzen. Inzwischen gefährdet die immanente Verwandlung des Kunstbegriffs in eine nicht mehr lehrbare »Kreativwirtschaft« das akademische Prinzip im Kern.

Was ist lehrbar an der Kunst? Das Handwerk allemal. Das Zurückfahren der Bildung rein handwerklicher Fähigkeiten an den Kunsthochschulen generell, aber in Dresden besonders krass, rächt sich heute schon. Die zuletzt von Namen wie Helmut Heinze, Gerd Jaeger und Detlef Reinemer geprägte Bildhauerausbildung ist hier erledigt. Die jetzigen Professoren Martin Honert und Eberhard Bosslet wollen das gar nicht mehr vermitteln. Elementarste zeichnerische Grundlagen werden systematisch missachtet. Grafischen Techniken wird der Rang eines modernen Mediums abgesprochen. Dabei kannte die jüngste Geschichte der Hochschule auf diesem Gebiet noch selbstbestimmte Namen: Jürgen Haufe und Wolfgang Petrovsky, Elke Hopfe und Claus Weidensdorfer, Lutz Dammbeck und Max Uhlig - vor und nach 1989 unangepasst, standen sie für vitale Impulse.

Heute wird, was lehrt, von außerhalb eingeflogen. Bitteschön - die Blutzufuhr von außen war in der Geschichte dieser Akademie immer lebensnotwendig. Aber ich habe den Eindruck, als man noch zu Fuß in die Residenzstadt pilgerte, war man bescheidener. Kam man damals schon mit einem missionarischen Alleinvertretungsanspruch? Kaum. Der Schweizer Anton Graff, der Lübecker Gotthard Kuehl, der Oberpfälzer Max Feldbauer, der Schwabe Otto Gussmann und der Badener Karl Albiker schufen neben den Sachsen Robert Sterl, Richard Müller und Otto Dix hier einst die akademische Tradition. Die Geschichte der Staatlichen Kunstsammlungen ist übrigens durchaus mit einer vergleichbaren Misere konfrontiert. Auch hier werden nun von der Finanzbürokratie mit vorgegebenen Sparzwängen rigoros Strukturen zerstört, die unverzichtbar sind. Kupferstichkabinett und Skulpturensammlung werden erstmalig in ihrer Geschichte die Eigenständigkeit genommen.

Personen ohne Rang und Namen sagen beim Amtsantritt offen, dass sie in erster Linie dazu da sind, »Gelder zu beschaffen« und »ein Haus zu managen«. So die 42-jährige Hilke Wagner, als bisherige Braunschweiger Kunstvereinschefin angeblich weltgewandt, aber leider bisher völlig ortsfremd. Die Dresdner dürfen nun mit der Gewissheit leben, dass sie nach wie vor neben den verordneten Abgöttern Baselitz und Richter als Favoriten der Dame nur das dazu Passende zu sehen kriegen. Es wird ein Kampf werden. Denn: »Es ist mir bewusst, dass Gegenwartskunst in einer traditionsverbundenen Stadt wie Dresden immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen hat.« Akademie und Kunstsammlungen, aufgepasst, was da auf euch zukommt an »Herausforderungen« (wie man heute so schön sagt, wenn es um Widersprüche geht)! Künstlerische und kunstwissenschaftliche Kompetenz - steht ihr zu eurer großartigen Geschichte in dieser Stadt?

Mark Dion. Die Akademie der Dinge. Bis 25.1.2015. Oktogon der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK Dresden), Georg-Treu-Platz 1(geschlossen von 20.12. bis 5.1.2015). Historisches und Neues Grünes Gewölbe, Residenzschloss Taschenberg 2, Galerie Neue Meister im Albertinum, Tzschirner᠆platz 2. www.hfbk-dresden.de/250

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