Dracula-Strategie gegen Freihandel

Konferenz der Linksfraktion im EU-Parlament zu TTIP und CETA

  • Haidy Damm, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Es gehe um nicht weniger als die Frage, »wie wir unser Leben gestalten wollen«, so Gabi Zimmer, Vorsitzende der GUE/NGL, bei einer Konferenz zu den transatlantischen Freihandelsabkommen in Brüssel.

»Auch wenn es politisch so aussieht, es geht nicht gut voran.« Die Worte von Cécile Toubeau zum Stand der Verhandlungen des Freihandelsabkommens zwischen Europäischer Union und Vereinigten Staaten (TTIP) könnten beruhigen. Doch Toubeau von Transport and Environment, der Dachorganisation der nichtstaatlichen europäischen Organisationen aus dem nachhaltigen Verkehrsbereich, spricht vor einem ganzen Saal voller scharfer Kritiker des Vertrages, der die weltgrößte Freihandelszone bedeuten würde.

Seit über einem Jahr verhandelt die EU-Kommission mit den USA über TTIP. »Bisher hat es noch keine Einigung gegeben in den verhandelten Bereichen Marktzugang, öffentliche Dienstleistungen und Beseitigung von Handelshemmnissen«, berichtet Cécile Toubeau, die auch Mitglied der Beratungsgruppe für die EU-Kommission ist, bei einer Konferenz der Linksfraktion im EU-Parlament (GUE/NGL). Von einem fertigen Vertragstext sind beide Seiten also noch weit entfernt, auch wenn wiederholt verkündet wird, die Verhandlungen bereits 2015 abschließen zu wollen.

Umso wichtiger scheint der wachsende Widerstand zu werden und die Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren. »TTIP ist ein gefährliches Biest«, erklärte Susan George vom Transnational Institute in Amsterdam. Getreu diesem Bild sei die wichtigste Aufgabe für den Protest: »Lasst uns den Vampir ans Licht zerren, dann wird er sterben.« Diese »Dracula-Strategie« hatte offenbar bereits in Kanada Erfolg. Laut einer Umfrage zum Abkommen des nordamerikanischen Staates mit der EU namens CETA änderten die meisten Befragten ihre Meinung, nachdem sie mehr Informationen hatten.

Wie bei CETA fürchten viele auch bei TTIP den Investitionsschutz. Über Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) sollen Unternehmen das Recht bekommen, Staaten aufgrund von Einkommensverlusten infolge politischer Entscheidungen zu verklagen. Weder werden diese Klagen in der Öffentlichkeit verhandelt noch gibt es die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Nicht einmal ein ordentliches Gericht wird angehört. Ein akkreditierter Schiedsrichter, auf den sich beide Seiten vorher geeinigt haben, hat hier den Vorsitz.

Beispiele zeigen, wohin es damit gehen könnte: Ecuador wurde auf 1,7 Milliarden US-Dollar verklagt, nachdem die Regierung einen Vertrag mit dem Unternehmen Occidental Petroleum gekündigt hatte. Gegen Deutschland klagt der schwedische Stromkonzern Vattenfall wegen ausfallender Gewinne durch den Atomausstieg. In Australien führt der Tabakriese Phillip Morris eine Milliarden-Dollar-Klage, weil der Staat Zigarettenschachteln ohne Markenlogo halten will. »Diese Verfahren werden mit CETA und TTIP zunehmen«, ist sich Susan George sicher.

Die EU-Kommission reagierte mit einem vorübergehenden Moratorium zu diesem Punkt. Die neue EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, die derzeit zu Gesprächen über die Freihandelsabkommen in Washington weilt, hat aber bereits angedeutet, dass sie in TTIP vielleicht auf diese Investorenrechte verzichten würde, auf keinen Fall jedoch im bereits verhandelten Abkommen zwischen der EU und Kanada. Ein solcher Schritt würde angesichts der bestehenden Verflechtungen zwischen kanadischen und US-amerikanischen Unternehmen allerdings im Sande verlaufen. US-Firmen könnten den Umweg über das Abkommen mit Kanada wählen. Kritiker befürchten langfristig zudem, dass Staaten angesichts der Bedrohung durch Schiedsgerichte politische Entscheidungen ändern oder gar nicht erst fällen.

Um den direkten Einfluss auf Regierungen geht es auch bei der verhandelten Kooperation von Regularien und Richtlinien. Laut einem ge- leakten EU-Papier sollen Konzerne die Möglichkeit erhalten, nach einem »Frühwarnsystem« bereits vor der Verabschiedung von Richtlinien informiert zu werden, um ihre Sicht der Dinge darzustellen. Auch bestehende Richtlinien könnten so auf den Prüfstand kommen. Demnach hätten die US-Regierung und Unternehmen in Zukunft umfassende Möglichkeiten, auf Gesetzgebungsverfahren Einfluss zu nehmen - lange bevor Parlamente entsprechende Dokumente überhaupt zu Gesicht bekämen. »Damit ist die Demokratie gefährdet«, so Kenneth Haar von der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory.

Auch die Absenkung von sozialen, arbeitsrechtlichen und Umweltstandards stehen nach Ansicht der Kritiker weiter zur Debatte. So befürchten Gewerkschaften die weitere Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und die Absenkung von Arbeitsrechten. In der Agrarwirtschaft könnten zwei Millionen europäische Landwirte ihre Höfe verlieren. Es ist zudem weiterhin nicht ausgeschlossen, dass öffentliche Dienstleistungen privatisiert werden. Dennoch gehe es nicht um einzelne Bestandteile, »der Vertrag muss vollständig abgelehnt werden«, so Susan George.

Dazu sind als nächstes die nationalen Parlamente und das EU-Parlament gefragt. Denn bei TTIP und CETA handelt es sich um sogenannte gemischte Abkommen, denen die Volksvertretungen zustimmen müssen. Als erstes muss dies für CETA geschehen. »Das wird ein Testfall für das neue Europaparlament«, meint dazu der Europaabgeordnete der LINKEN, Helmut Scholz. Und: »2015 wird ein entscheidendes Jahr für die Verhandlungen.«

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