Der schmale Grat

Im Kino: »Der Hobbit: Die Schlacht der Fünf Heere« von Peter Jackson

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.
Der neue Mittelerde-Film löst ein, was Titel und literarische Vorlage versprechen. Ohne all »das Klirren der Schwerter und die Schreie des Kampfes« (»The Guardian«) wäre er für Rezensent Tobias Riegel eine Enttäuschung.

Die Kritiker müssen nicht so tun, als seien sie nicht gewarnt gewesen. »Der Hobbit: Die Schlacht der Fünf Heere« von Peter Jackson hält genau das Versprechen, das Titel und literarische Vorlage geben. Die Konzentration auf »das Klirren der Schwerter und die Schreie des Kampfes«, die der britische »Guardian« bemängelt, ist also keineswegs überraschend. Im Gegenteil wäre alles andere eine Enttäuschung gewesen.

Auch der »Hollywood Reporter« hat zwar Recht, wenn er Jacksons zweieinhalbstündigem Mittelerde-Brimborium unterstellt, »durch und durch ein Kriegsfilm« zu sein. Da aber diese Stoßrichtung schon lange vor Drehbeginn feststand, müssten die Fragen nun eigentlich lauten: Hat der Regisseur die zwingend auf die unvermeidliche Schlacht zusteuernde Geschichte mitreißend zu Ende erzählt? Hat Peter Jackson also einen guten Kriegsfilm gemacht?

Dass aus Tolkiens schwarz-weißer Grundkonstellation eines Kampfes »Gut gegen Böse« kein Antikriegsfilm entstehen konnte, war voraussehbar – ebenso wie der militante Grundtenor dieses dritten Hobbit-Films. Hat man aber diese beiden (story-immanenten) Voraussetzungen erst akzeptiert, muss man zugestehen: Ja, Jackson hat unterhaltsames, zum Teil technisch grandioses, fantastisch-militärisches Actionkino geschaffen.

Er hat angesichts der fatalen Fehlentscheidung, die dünne Hobbit-Geschichte auf drei Überlänge-Filme zu strecken, aus diesem dritten Teil zumindest noch das Bestmögliche herausgeholt. Dem Regisseur gelingt es so auf den letzten Metern, den Kreis zur erheblich stimmigeren »Herr-der-Ringe«-Trilogie zu schlagen: den singenden Zwergen des ersten und dem ermüdenden Gepirsche und Angeschleiche des zweiten Teils zum Trotz – und selbst ganz ohne Gollum.

Die Einzelfilme sollen ganz offensichtlich nicht als eigenständige Werke, sondern als Teile eines großen Ganzen wahrgenommen werden. Dementsprechend wird der Kinozuschauer in »Der Hobbit: Die Schlacht der Fünf Heere« ansatz- und erklärungslos in die am Endes des zweiten Teils abrupt unterbrochene Handlung hineingestoßen. »Smaugs Einöde« schloss damit, dass die Gruppe der Zwerge um Anführer Thorin Eichenschild mit Hilfe des Hobbits Bilbo und des Zauberers Gandalf den Drachen Smaug aus seinem goldbefüllten Berg vertrieben hatten.

Kaum hat man also im Kinosessel Platz genommen, verwandelt Smaug – getrieben von feuriger Wut über seine Vertreibung aus dem Paradies – die Seestadt Esgaroth in eine Hölle aus Drachenglut. Leider verendet dieses schelmenschlaue, meisterhaft animierte Monster viel zu schnell in der eigenen Feuersbrunst.

Doch er muss ja den Weg für den Grundkonflikt des Films, ja der ganzen Geschichte, freimachen: Mit dem Tod des gemeinsamen Feindes Smaug stehen sich Menschen, Zwerge und Elben plötzlich unversöhnlich gegenüber – erfasst von der Gier nach dem im Berg gebunkerten Gold, drohen sie sich gegenseitig zu zerfleischen.

Das ist die Stunde der Diplomaten. Doch alle Vermittlungsversuche Bilbos scheitern – vor allem am Zwergenführer Thorin. Erfasst von der »Drachenkrankheit« genannten Gier, verbarrikadiert der sich mit einer Handvoll Gleichgesinnter im Goldspeicher: ein düsterer, brabbelnder, wortbrüchiger, ehr- und mutloser Dagobert Duck, der den Elben und Menschen ihren Anteil verweigert

Und so läuft es in Mittelerde wie auf der echten Erde auch: Erst die äußere Bedrohung durch zahllose degenerierte Orks – unterstützt durch riesige Trolle mit Bierbauch und Allerweltsgesichtern – zwingen die Humanoiden zu Vernunft und Solidarität.

Man muss schon ein großer Freund sowohl des Fantasy- als auch des Action-Genres sein, um das mit Ankunft der Orks einsetzende Gemetzel ganz ohne Kopfschmerz zu überstehen. Eine geschlagene Stunde werden unüberblickbare Heere in Stellung gebracht, fliegen Köpfe und andere Körperteile, wird alle zehn Minuten ein noch größeres und noch schrecklicheres Wesen eingeführt.

Andererseits muss man vor dieser logistischen (und im Ergebnis) auch ästhetischen Meisterleistung den Hut ziehen und sollte nicht zögern, sie mit den technikbezogenen Oscars zu überhäufen.

Da es aber ums Kino und nicht um sportliche Höchstleistungen geht, reichen hier reine Superlative nicht aus. Im Gegenteil: Der Programmierung der wildesten Fantasiewelten, des verrücktesten Schlachtengemäldes ist mittlerweile keine technische Grenze mehr gesetzt. Die Kunst der heutigen Mega-Blockbuster-Regisseure besteht also in einer Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen dem möglichst hemmungslosen Ausreizen der technischen Wunderkiste einerseits und der ebenso wichtigen Reduktion dieser Mittel und der Konzentration auf liebevolle Details andererseits. Diese Mischung beherrschte Jackson in der »Ringe«-Trilogie aus dem Effeff. Im dritten Hobbit-Teil kommt er dieser Klasse wieder nahe. All dem nervigen, bei Tolkien aber unausweichlichen Elben- und Zwergenkitsch zum Trotz: Jackson erweist sich einmal mehr als meisterhafter Choreograph, als kluger Feldherr der Computer-Armeen.

Hubschrauberfahrten über sich bis zum Horizont erstreckende Armeen werden kontrastiert mit intimen und epischen Einzelkämpfen wie dem zwischen Thorin und einem Ober-Ork unter einem gefrorenem Wasserfall. Absurd-komischer Schlachten-Slapstick wechselt sich ab mit knüppelharter, ernsthafter Kampfdramatik. Zehntausende Elben – diese überdisziplinierten und bis in die blonden Haarspitzen durchmilitarisierten Kampfhippies – praktizieren zackige Formationswechsel, während Bilbo den Zwergen ein wichtiges Artefakt stiehlt, um sie zu Verhandlungen zu bewegen. Derweil werden Wildschweine und Widder geritten und eine Adler-Armee greift ein.

Martin Freeman feiert momentan nicht umsonst große Erfolge in intelligenten TV-Serien wie »Sherlock« oder »Fargo«: seinen Bilbo Beutlin muss man mögen – auch wenn er (der Buchvorlage entsprechend) in diesem dritten Teil nur eine Nebenrolle spielt. Hier führen nun mal die Kampfmachos die erste Geige bzw. Streitaxt.

Das hier ausgesprochene Lob gilt natürlich nur in den engen Grenzen des aufgeblasenen, reinen Unterhaltungsfilms. Dass dieses Genre voller dramaturgischer, inhaltlicher und logischer Defizite steckt, die hier nicht einzeln aufgezählt werden sollen, ist selbstverständlich. Mit dem Kauf einer Kinokarte erklärt man sich aber mit ihnen einverstanden und zum reinen Genuss der überbordenden Schauwerte bereit.

Als tragische Figur bleibt Regisseur Peter Jackson auf dem Schlachtfeld stehen. Denn er wird bis an sein Lebensende in Mittelerde gefangen bleiben. Diese sechs Filme, die schon jetzt Frühwerke wie »Bad Taste«, »Braindead« oder »Heavenly Creatures« überdecken, werden sein Vermächtnis sein. Man rätselt, warum Jackson die Regie für die Hobbit-Trilogie nicht ausgeschlagen hat. Sie musste am Monument des Herrn der Ringe zerschellen.

Andererseits: Wie oft hat man als Regisseur die Chance, das popkulturelle Hauptwerk einer ganzen Generation zu prägen? Nicht umsonst wird der Mittelerde-Komplex nun häufig als das »Star Wars« unserer Tage definiert, also als das absolut dominante Neo-Märchen.

Der neue und hoffentlich allerletzte Hobbit-Film markiert nicht nur das Ziel einer »unerwarteten Reise«, wie der erste Teil der Hobbit-Trilogie heißt. Er ist auch der Endpunkt einer verdammt langen Reise durch über tausend Filmminuten. Die lassen alle Beteiligten (das Publikum eingeschlossen) erschöpft und übersatt zurück.

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