Informatiker mit historischem Bewusstsein

Mit Raúl Rojas von der FU Berlin wurde einer der wenigen emanzipatorischen Technikwissenschaftler zum »Hochschullehrer des Jahres« gekürt. Von Ralf Hutter

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.

Menschenähnliche Roboter, autonom im Straßenverkehr fahrende Autos - das sind eigentlich Entwicklungen, die angesichts der Existenz von Drohnen, nicht nur von hier aus gesteuert am anderen Ende der Welt töten, sondern bald allgegenwärtig sein werden, vielen Angst machen. Zumal in einer Zeit, in der Rüstungsfirmen wie Militärs sich zunehmend auf Aufstandsbekämpfung und Massenkontrolle spezialisieren. Immerhin ein Protagonist der Arbeit an künstlicher Intelligenz in Deutschland steht nicht für solche Schreckensbilder: Raúl Rojas, seit 1997 Professor für Intelligente Systeme und Robotik an der Freien Universität Berlin (FU). Er wurde kürzlich vom Deutschen Hochschulverband (DHV), der Vereinigung des wissenschaftlichen Personals, zum »Hochschullehrer des Jahres« erklärt. Der mit 10 000 Euro dotierte Preis wird im März nächsten Jahres überreicht.

Bei dieser Ehrung gehe es immer um herausragendes Engagement, sagt ein DHV-Sprecher auf Anfrage, aber in diesem Fall werde »ein Forscher mit besonders starker Lehrorientierung« wegen seiner »innovativen Form der Lehre« gewürdigt. Rojas führe seine Studierenden »vom ersten Semester an an die Forschung heran«. Nach der Theorievermittlung dürften die Studierenden »in Projektarbeit die Hard- und Software der Roboter selbst entwickeln«, wie DHV-Präsident Bernhard Kempen in der Begründung der Ehrung ausführte.

Rojas’ vielleicht bekanntestes Projekt ist das des Roboter-Fußballteams, das - von Studierenden mitbetreut - in Turnieren (bis hin zu »Weltmeisterschaften«) gegen andere Unis immer wieder gut abgeschnitten hat. In Zukunft könnte ein anderes Projekt noch berühmter werden: Gemeinsam mit Studierenden arbeitet Rojas an selbstständig fahrenden Autos, die sie schon auf Berlins Straßen testen.

Der gebürtige Mexikaner hat im In- und Ausland hohe wissenschaftliche Ehrungen erhalten. Er ist dabei ein außergewöhnlich politisch denkender Technikwissenschaftler mit einer außergewöhnlichen wissenschaftlichen Biografie. Nachdem er in den 1970ern als studentischer Aktivist in seinem eher undemokratischen Geburtsland den FU-Politikwissenschaftler und Marxisten Elmar Altvater kennengelernt hatte, kam er zum Wirtschafts- und Sozialwissenschaftsstudium nach Berlin, wo er auch bei Altvater über Marx promovierte. Die Habilitation machte er dann aber wieder in Informatik. Auf seine Entwicklung zurückblickend, sagte er 2012 in einem Interview: »Mathe war und ist meine Leidenschaft, aber ich wollte verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert.« Dabei kam der selbst ernannte »Weltverbesserer« auch zu der Einsicht: »Informatiker sind die einzigen Wissenschaftler, die ich kenne, die kaum historisches Bewusstsein haben.« Rojas’ Konsequenz: Er verweigere sich der Forschung fürs Militär und diskutiere das auch mit den Studierenden.

Dass technische Forschungsergebnisse immer auch für schlechte Dinge verwendet werden können, ist Rojas bewusst. Seine Forschung an selbstständig fahrenden Autos soll zuallererst der Vermeidung von Unfällen, Umweltverschmutzung und menschlichem Stress dienen. Rojas will die Mehrzahl der heute herumfahrenden Autos von der Straße holen, ein Schwarm autonom fahrender Autos für alle soll eine neue Art öffentliches Verkehrsmittel sein.

Auch in der Hochschulpolitik konnte der Informatiker mit dem ausgeprägten sozialen Bewusstsein schon hervorstechen. 2010 kandidierte er bei der Präsidentschaftswahl an der FU, ohne eine der etablierten politischen Vereinigungen im Rücken zu haben, und fiel dabei auch mit Kritik an der Hochschulleitung auf, der er nicht nur Intransparenz vorwarf. Die Kritik verschärfte sich in den folgenden Jahren, als Rojas mit anderen nachträglich erfolgreich Stimmung gegen die Verleihung der FU-Ehrenmedaille an den Scheich von Dubai 2008 machte. Die Medaille wurde dann aberkannt.

In diesem Jahr klagte Rojas in einem Interview kurz vor der Wahl des FU-Präsidiums, »dass die Organe der Universität, darunter der Akademische Senat, im Laufe der letzten 20 Jahre entmachtet worden sind«, und über das grundsätzlich sehr geringe Interesse an Uni-Wahlen in allen Statusgruppen.

Zum »Hochschullehrer des Jahres« wurde er freilich nicht deswegen gewählt, sondern wegen guter Ideen in der Lehre. Das kann nicht ganz aus der Luft gegriffen sein, aber einige ehemalige Studierende von Rojas sehen das nicht als gerechtfertigt an. Im Online-Portal Studis Online geben drei von ihnen ihre Erfahrungen wieder. Tenor: Der Robotik-Experte sei mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt. Dazu zählen sie auch Rojas’ Medienpräsenz, und zwar nicht nur, wenn es um Vorführungen von Robotern geht. Tatsächlich lebt der Informatiker seine politische Herangehensweise an Technikthemen in einer ungewöhnlich regen publizistischen Tätigkeit im Online-Magazin »Telepolis« aus. Er sei bemüht, »Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Hintergründe auch einem größeren Leserpublikum auf sachkundige, präzise und vergnügliche Weise nahezubringen«, schreibt dort aktuell ein Redakteur über seinen Gastautor.

Es scheint, dass die studentischen Klagen auf einem bekannten Problem der Massenuniversität beruhen: Rojas hatte zwar offensichtlich gute Ideen für die Gestaltung der Lehre zu künstlicher Intelligenz - offensichtlich ist aber auch, dass zumindest ein Teil seiner Kurse und Projekte zu wenig vom multitalentierten Chef hat.

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