nd-aktuell.de / 19.12.2014 / Kultur / Seite 14

Imaginäres Museum

Die Galerie Pankow stellt neue Arbeiten des Künstlers Oskar Manigk aus

Klaus Hammer

Das Verfahren, eine Bildvorstellung hervorzurufen durch unerwartete Assoziationen und zufällige Zusammenstellungen, kennen wir von den Surrealisten. Wenn die Arbeit für Zufallseffekte, unvorhergesehene Kombinationen und unbeabsichtigte Metaphern offen bleibt, dann kann das Unbewusste in ihr wirken. »Als erstes muss ich Unordnung schaffen«, sagt Oskar Manigk, »Destruktion betreiben, denn meine Phantasie braucht eben diesen labilen, konfusen Zustand, um im Bildviereck Fuß fassen und sich ausbreiten zu können«. Und doch will er mit seinen Figurenbildern eine bewusste Aussage treffen. Aus dem explosiven Pinselschlag eines Allegro furioso wächst eine bewusst ausgewogene Komposition.

Manigk, der in Ückeritz auf Usedom und in Berlin lebt und arbeitet, hat sich stets seine Unabhängigkeit bewahrt. Erst 1993 erhielt er anlässlich der Verleihung des Caspar-David-Friedrich-Preises des Landes Mecklenburg-Vorpommern seine erste große Ausstellung im Staatlichen Museum Schwerin. Er ist kein Gruppenkünstler und von keiner Bewegung her interpretierbar.

Oder doch? Kann man nicht bei ihm einerseits von Symbolismus sprechen, der auf persönlich gefundenen Metaphern und Sinnbildern, scheinbar banalen, jetzt aber vielsagenden Gegenständen aufbaut, und andererseits von weltnaher Sinnlichkeit, die diesen Symbolismus ans Leben und das konkrete Sosein bindet? Das ist fast ein Widerspruch, aber seine deformierten, bestimmten Bewegungsrhythmen eingebundenen Figuren und ihre sich vom Gegenstand befreiende Farbaussage, aber auch die Auseinandersetzung mit dem Problem, Figur und Raum in die Fläche zu projizieren, lässt doch an die Malerei des Spätmittelalters denken.

Seine figurenreichen Szenen baut Manigk in einen engen Bühnenkasten ein und rückt ihn übernah an das Auge des Betrachters. Dadurch ergeben sich divergierende, voneinander unabhängige Blickpunkte und einzeln zu sehende Bildelemente, welche jedoch durch lineare Bezüge zu einem übergeordneten Raumkontinuum verbunden werden. Die Kreuz- und Querverbindungen führen immer wieder zu den Figuren und Köpfen, deren Farbkonturen mitunter wie eine intellektuelle Parodie eilig gekritzelter Straßengraffiti wirken. Die Einsicht in die ewige Wiederkehr des Unabänderlichen, in dem der Mensch sich schlechthin behaupten muss, hat den 80-jährigen Maler zu einem Grundthema - dem des der Illusionslosigkeit entgegengestellten Lebenswillen - geführt. Er kleidet seine Aussage in eine Form, die in besonderer Weise das Allgemeingültige, das auf jeden Einzelfall Zutreffende und Ausdrückbare meint: in Bildern von Außenseitern und Aussteigern, Nobodys und berühmten Stars, der Schauspieler-, Künstler- und Boheme-Welt, wo durch die Doppelbödigkeit des Geschehens, durch die gespielte und im Spiel vertauschbare Wirklichkeit, jede Szene für andere Inhalte stehen kann.

Da Manigk gern in Serien arbeitet, stellen sich die einzelnen Gemälde wie Variationen zu einem Thema dar. »Der alte Seemann« gibt sich seinen Erinnerungen an das Meer und ferne Länder hin, während in »Elmsfeuer III« ein Matrose den Klängen eines Hawai-Mädchens lauscht. Haben wir es hier wirklich mit einer echten Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, nach der Weite und Ferne der Welt zu tun oder enthüllt sich die exotische Idylle als ein Eiapopeia der Verlogenheit?

»Frida und Herta II« - was haben sie gemeinsam, die Schriftstellerin Herta Müller und die emanzipierte mexikanische Malerin und charismatische Rebellin Frida Kahlo? Ceaucescu kann man rechts unten im Bild »Herta von fern« lesen, die Schriftstellerin streitbereit in ihrer Banater Heimatlandschaft, das die unheilvollen Spuren des rumänischen Diktators aufweist. Die bildhafte Sprache der Collagen Herta Müllers wird hier spielerisch umgesetzt. »Spielfeld« gibt die Konturen eines Würfelspiels wieder, in dem Figuren Wünsche und Träume, aber auch Leiden und Schmerz symbolisieren. »Let’s dance together« heißt es in einer Sprechblase - wenn das Leben doch so einfach wäre.

Was hat Manigk zur Gegenüberstellung von »Leni und Amy«, der Nazi-Filmemacherin Leni Riefenstahl und der britischen Sängerin und Songschreiberin Amy Winehouse bewogen? Schwestern - die eine von gestern, die andere von heute - können es doch wohl nicht sein. Ist es das Genie der Selbstzerstörung, sind es die Comeback-Versuche der Film- wie Pop-Legende, das lange Leben der einen, das viel zu kurze der anderen, die mit 4,16 Promille im Blut starb? Margarete Mitscherlich hatte die Tragik der Riefenstahl in die Worte gefasst: »Es gelang ihr bis heute, ohne Ahnung von dem zu bleiben, wovon sie keine Ahnung haben wollte«.

»Die Kunst rettet uns vor dem Wohlleben« zeigt ein Mädchen mit Gitarre auf der Straße, die sich von der Konsum- und Wohlstandsgesellschaft verabschiedet hat. Wohin wird es sie treiben? Eine Hommage an die Portugiesin Misia ist »Senhora da Noite«, so der Titel ihres Albums, in der die Musik des traditionellen Fado - das ist poetische Melancholie und wehmütiger Schmerz - wieder aufgenommen wird, mit Texten, die ausschließlich von Frauen geschrieben wurden. Misia »malt Tränen in allen Sprachen« heißt es - und so hat sie der Maler dargestellt. In dem sich begnadet fühlenden »Musensohn« auf seinem Ego-Trip gibt er ein Bild des zerstörten, entleerten Menschseins.

Manigk verweigert das Moralisieren und die agitatorische Botschaft. Er will Strukturen der Wirklichkeit mit den Mitteln der Malerei offenlegen, den Denkprozess des Betrachters sensibilisieren, damit dieser wahrnimmt, was man nicht direkt sehen und doch als Ganzes sichtbar machen kann. Und so wird er weiterarbeiten an seinem imaginären Museum, dem Archiv seiner Träume und Alpträume, die auch deshalb so einprägsam sind, weil sie Irritationen enthalten, die der Betrachter auf den ersten Blick nicht auflösen kann.

Galerie Pankow, Breite Str. 8, Di- Fr 12-20 Uhr, Sa und So 14-20 Uhr, bis 25. Januar 2015. Katalog 25 Euro.