nd-aktuell.de / 19.12.2014 / Sport / Seite 19

Donezk erobert den ukrainischen Westen

Schachtjor trainiert in Kiew und spielt in Lwiw. Dort agiert der Klub professioneller als der heimische Verein Karpaty

Denis Trubetskoy, Kiew
Schachtjor Donezk hat sich in den letzten Jahren zum europäischen Spitzenverein entwickelt. Durch den Krieg in der Ostukraine ist der Klub zurzeit heimatlos und trägt seine Spiele in Lwiw aus.

Es war ein sonniger Tag im April - und in der Ostukraine sah alles noch nicht so traurig aus. Schachtjor Donezk, so eine Art FC Bayern München des ukrainischen Fußballs, spielte gegen den Lokalrivalen Metallurg, zu Hause in der hochmodernen Donbass Arena, die zu Recht zu den besten Stadien Europas gezählt wird. Schachtjor befand sich bereits auf dem Weg zum nächsten Meistertitel, konnte sich aber zunächst nicht durchsetzen. Am Ende gewann die Mannschaft dann doch glücklich mit 2:1. Die 23 000 Fans, klangen trotz des wichtigen Sieges ungewöhnlich leise. Die proukrainischen Ultras fehlten im Stadion. Es herrschte Krieg. Die sogenannte Volksrepublik war nicht einmal zwei Wochen alt.

Heute ist es unvorstellbar, dass Schachtjor, der nächste Gegner des FC Bayern in der Champions League, überhaupt in Donezk spielt. Sogar das Stadion, der Stolz der Millionenstadt, wurde beschossen. Die Schäden sind zum Glück überschaubar. Seit dem 2. Mai konnte Schachtjor kein Spiel mehr zu Hause bestreiten - damals schlug das Team von Mircea Lucescu die Elf von Illitschiwez Mariupol. Die Hafenstadt Mariupol ist noch unter Kontrolle der ukrainischen Armee, befindet sich aber in direkter Nachbarschaft zum Gebiet, das von den prorussischen Separatisten kontrolliert wird.

Während in der Donbass Arena heute die Hilfsgüter des Klubbesitzers Rinat Achmetow an die Bevölkerung verteilt werden, bestreitet der erfolgreichste ukrainische Verein der vergangenen Jahre einen äußerst komplizierten Alltag. Das Team wohnt und trainiert in Kiew. Doch die Heimspiele werden in Lwiw ausgetragen - in der Arena Lwiw, die eigens für die Fußball-EM 2012 gebaut wurde. »Dieses Stadion, für mich das Zweitbeste in der Ukraine, wurde nach der EM gar nicht mehr gebraucht«, sagt Schachtjors Generaldirektor Sergej Palkin. »Wichtig sind aber vor allem die Fans, die in Lwiw einfach hervorragend sind.«

Palkin sieht sich fast jeden Tag mit schwierigen logistischen Aufgaben konfrontiert. Die meisten der rund 550 Angestellten des Vereins arbeiten immer noch in Donezk. Ein Großteil kümmert sich um humanitäre Projekte des Unternehmers Achmetow. Sein Aufstieg zum reichsten Oligarchen der Ukraine ist umstritten. Einst war Achmetow, der seit 1996 Präsident von Schachtjor ist, eine Art »König des Donbass«. Doch durch den Krieg hat er in der Region massiv an Einfluss verloren. Ihm wird vorgeworfen, zumindest am Anfang gemeinsam mit den Separatisten gearbeitet zu haben. Andere wiederum kritisieren Achmetow scharf für seine proukrainische Haltung.

»Niemand kann behaupten, dass er die Wahrheit kennt. Klar ist nur, dass Achmetow mit seiner humanitären Stiftung fast der Einzige ist, der wirklich den Menschen hilft«, sagt der im umkämpften Donezk lebende Journalist Daniil Wereitin. Er befürchtet nicht, dass Achmetow die Finanzierung von Schachtjor beenden könnte: »Für ihn ist der Verein ein Teil seiner Seele. Ich glaube, er wird eher bei anderen Projekten finanziell kürzen.«

Mitte der 1990er Jahre kam Rinat Achmetow mit fragwürdigen Methoden an das große Geld. Doch wichtig ist auch, dass er mit Schachtjor einen europäischen Spitzenklub aufgebaut hat, der nicht nur jedes Jahr in der Champions League mitmischt, sondern auch eine hervorragende Infrastruktur besitzt. Besser gesagt, besessen hat.

In Lwiw, der westlichsten Großstadt der Ukraine, ist es friedlich. Fast nichts weist hier auf den blutigen Krieg hin, der im Osten des Landes tobt. Die Entscheidung Schachtjors, die »Heimspiele« in Lwiw auszutragen, war dennoch überraschend. Donezk, der Nachfolger von Dynamo Kiew als Flaggschiff des ukrainischen Fußballs, ist nämlich im Westen des Landes nicht gerade beliebt. Generaldirektor Palkin meint jedoch: »Trotz der politischen Lage waren wir von Anfang an fest davon überzeugt, dass die Menschen in Lwiw uns gut aufnehmen.«

Die Zahlen geben Palkin Recht. Mit durchschnittlich 13 000 Zuschauern hat Schachtjor fast doppelt so viele Besucher wie der Traditionsverein Karpaty Lwiw. Der Sportjournalist Oleg Schtscherbakow, der in dieser Saison über die Heimspiele von Schachtjor berichtet, hat eine Erklärung dafür: »In Sachen Marketing ist Schachtjor schon längst Weltspitze. Die günstigen Karten sind praktisch an jeder Ecke zu kaufen. Sogar der eigene Fanshop ist schon da.«

Auch die unverhoffte Möglichkeit, Spiele der Champions League live in der Westukraine zu erleben, lockt die Zuschauer in die Lwiw-Arena. Einer davon ist Wladimir, der an einer Universität in Lwiw arbeitet. Früher war er Karpaty-Fan, doch die aktuelle Situation im Verein hat vieles verändert: »Dort passiert so viel Fragwürdiges, dass ich lieber die Spiele von Schachtjor besuche«. Maxim ist dagegen einer der Flüchtlinge, die aus dem Gebiet Donezk nach Lwiw gekommen sind: »Früher war ich nicht so oft in der Donbass Arena, nur dreimal. Jetzt besuche ich aber die Spiele ziemlich regelmäßig«. Manche Flüchtlinge haben sich nur in Lwiw niedergelassen, weil dort Schachtjor seine Spiele austrägt.

Mit dieser Situation ist man bei Karpaty Lwiw natürlich sehr unzufrieden. Der Verein rund um den ukrainischen Unternehmer Petro Dyminskyj hat wegen des nationalistischen Teils seiner Fans nicht überall den besten Ruf. Karpaty nutzt die moderne Arena Lwiw nicht, sondern spielt im alten Ukraina-Stadion. Dyminskyj hatte die Stadt vor die Wahl gestellt, das neue Stadion als Eigenturm zu erhalten oder nur eine Symbolmiete zu bezahlen. Durch Schachtjors Dauerengagement in der Arena Lwiw sind diese Pläne vorerst gescheitert.

Inzwischen werden die Spiele von Donezk sogar besser besucht als die von Karpaty, was Dyminskyj natürlich missfällt. Mediale Attacken gegen Schachtjor sind letztlich gegen Achmetow gerichtet. So wurde den Spielern von Schachtjor vor einem Ligaspiel empfohlen, ein Trikot mit der Aufschrift »Ruhm der ukrainischen Armee« zu tragen. Das hat der Verein abgelehnt. Die Stellungnahme von Achmetow, der Kritik an beiden Seiten des Konflikts geübt hat, wurde scharf kritisiert. Vor den Parlamentswahlen im Oktober gab es sogar Vorschläge, Schachtjor aus Lwiw hinauszuwerfen - eine Position, die viele in der Stadt bis heute teilen.

Beim Champions-League-Spiel gegen BATE Baryssau aus Belarus brachten die Ultras aus Lwiw sogar Banner wie »Schachtjor raus aus Lwiw!« mit. Donezk gewann mit 5:0. Nächster Gegner in der Champions League ist nun Bayern München. Für Schachtjor sind die Chancen auf ein Weiterkommen gering. Wesentlicher für Schachtjor ist aber: Fast alle Leistungsträger konnte der Verein binden, was zeitweilig unmöglich schien. Und in der ukrainischen Premjer-Liha ist Schachtjor Zweiter - fünf Punkte hinter dem Erzrivalen Dynamo Kiew.

Inzwischen hat man sich auch in Lwiw an den Verein aus Donezk gewöhnt. Auf dem Markt in der Innenstadt von Lwiw gibt es sogar einen Stand, an dem Fanartikel von Schachtjor verkauft werden. So ist der ukrainische Osten - jedenfalls sportpolitisch - im tiefen Westen der Ukraine angekommen.