nd-aktuell.de / 20.12.2014 / Politik / Seite 16

Der Ehrgeiz des Brückendoktors

Leverkusens Rheinbrücke sollte eigentlich saniert werden - doch dafür ist es längst zu spät

Christoph Driessen, Leverkusen
Die Brücke lebt. Hans-Dieter Jungmann weiß das, denn er betreut sie seit Jahren. Er mag sie. Aber er weiß auch: Die Leverkusener Rheinbrücke ist ein hoffnungsloser Fall.

Ungefähr in der Mitte des Rheins kommt das Geständnis. Da hört der Techniker Hans-Dieter Jungmann auf, über Technik zu reden, und spricht stattdessen über Gefühle. »Ich mag sie. Ich bin ihr verbunden.« Er meint eine Brücke. Die Leverkusener Rheinbrücke in Nordrhein-Westfalen.

Jungmann ist der Leiter der Bauaufsicht, und in diesem Moment steht er auf einer beweglichen Plattform, die unter der Autobahnbrücke über den Rhein gleitet. Krähen segeln über den träge dahinfließenden Strom. Aber Jungmann schaut nicht nach unten, er hat nur Augen für die Brücke. »Überall, wo's grau ist, haben wir schon Risse ausgebessert«, sagt er. Es gibt ziemlich viele graue Stellen.

Die Leverkusener Rheinbrücke ist die wohl meistgeschmähte Brücke Deutschlands. »Schrottbrücke« ist eine oft verwendete Bezeichnung. Abbruchreif sei sie. Der Albtraum aller Spediteure, eine Belastung für die nordrhein-westfälische Wirtschaft.

Jungmann wird etwas unruhig, wenn man seine Brücke beleidigt. »Da müssen wir aufpassen«, sagt er. »Ganz großes Missverständnis!« Die Brücke sei ein grundsolides Bauwerk. Aber eben 50 Jahre alt. Und irgendwann sei eben Schluss. Der große, massige Mann mit dem rotblonden Bart hebt seine tellergroßen Hände in die Luft, um etwas zu zeigen: »Stellen Sie sich einen Löffel vor!«, sagt er. »Als Kind haben wir den gern gebogen. Immer weiter nach unten. Bis er gebrochen ist. So ist es auch mit der Brücke.« Jungmann (57) ist 2008 gekommen, um die Brücke für die nächsten 30 Jahre zu sanieren. Doch dann stellte sich heraus: Das Ding ist durch. Materialermüdung. Zu viel Verkehr. Jetzt ist es sein Ziel, die Brücke noch sechs Jahre zu erhalten - bis die neue fertig ist.

Der »Brückenbesichtigungswagen« stoppt auf der Kölner Seite. Im Winter ist die Brücke an jeder Seite 30 Zentimeter kürzer als im Sommer. Sie zieht sich zusammen. »Die Brücke lebt«, sagt Jungmann. Jetzt geht es über eine Leiter hoch auf Straßenniveau. Irgendwo auf dem Mittelstreifen streckt Jungmann den Kopf raus. Rechts und links braust der Verkehr - immer mal wieder auch ein Sattelschlepper, obwohl die Brücke für alle Fahrzeuge über dreieinhalb Tonnen gesperrt ist. Die Laster und Busse sind dabei, ihr den Rest zu geben.

Jungmann stiefelt über den Mittelstreifen und zeigt, wo die Brücke schon verstärkt wurde. In der Ferne, am Leverkusener Ende, erkennt man einen Kollegen von ihm in orangefarbener Sicherheitsweste. »Die Leute, die hier rüberfahren, denken immer: ›Die sind da mit zwei Männekes zugange‹ - aber das stimmt natürlich nicht.« Es sind eher 40 - aber sie arbeiten im Inneren der Brücke. Im Bauch.

Dort unten sieht es aus wie in einem riesigen U-Boot. Man kriecht durch Bullaugen und durchläuft enge Gänge. Es ist ein Labyrinth, weit verzweigt, über mehrere Etagen. Und dunkel. Von oben unaufhörliches Grollen. Das sind die Autos, die über die Brücke rumpeln. Jungmann zwängt sich in eine der acht Seilkammern. »Man könnte sagen: Das ist das Rückenmark der Brücke.« Hier enden die Seile, an denen sie aufgehängt ist. Jungmann leuchtet mit seiner Taschenlampe über die schwarzen Wände. »Wo Sie hier auch schauen - Risse!« Daneben sind mit weißem Edding-Stift handschriftliche Notizen angebracht worden. »Bau-Tagebücher nennen wir das.« Krankenakte könnte man auch sagen. Jungmann erinnert das daran, wie seine Oma vor vielen Jahren auf der Intensivstation lag. »Da kam auch jeden Tag ein neues Gesundheitsproblem dazu. Genauso ist es hier.« Er klopft gegen die Stahlwand. »Ich hab den Ehrgeiz, das Ding so lange wie möglich durchzubringen. Da steckt schon Herzblut drin. Aber letztlich - es führt kein Weg daran vorbei, dass wir es mit einer Schwerkranken zu tun haben. Die Brücke ist an ihrem Lebensende angekommen.«

Noch einmal geht es um drei Ecken, eine Leiter und eine Treppe hinab. Dann öffnet Jungmann eine Tür, und plötzlich steht man im Hellen, auf einer Wiese. Er sagt, er hoffe, dass er helfen konnte, die Sache zu verstehen. Zum Abschied reicht er die Riesenhand. Dann verschwindet er im Zwielicht, und die Türe fällt zu. Die Brücke hat ihn wieder. dpa/nd