Leserglück im Wetzstein

Erinnerungen an Thomas Bader, den leidenschaftlichen Buchhändler in Freiburg

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon die Schaufenster sind ein Ereignis. Vor Jahren, als hier für den Gerstenberg-Band »Die schönsten Buchhandlungen Europas« fotografiert wurde, sah man in der Auslage, arrangiert mit Witz und Sinn fürs Ungewöhnliche, eine alte Werkausgabe, Andy Warhols Goethe-Porträt, eine Skulptur der englischen Königin, einen Totenkopf, drei Weinflaschen, weitere Bücher sowie gerahmte Hinweise und Empfehlungen, wunderschön handgeschrieben vom Herrn des Hauses. Der hieß Thomas Bader und betrieb mit seiner Frau und einigen Angestellten seit 1978 im Südwesten des Landes, in der Freiburger Salzstraße, hinter mittelalterlichen Mauern die »Buchhandlung zum Wetzstein«, für alle, die schon einmal da waren, die schönste in Deutschland, bestaunt, geliebt, gepriesen.

Ein sagenhafter Ort. Nicht bloß ein Laden, kein Geschäft, wie man’s kennt, nichts, was sich so woanders auch finden ließe. Wer die Tür öffnet, betritt, von dezenter Barockmusik umschmeichelt, eine berauschende Welt, in warmes Licht getaucht von Messinglüstern und Stehlampen. Auf dem Boden und auf den Regalen Skulpturen und Pflanzen, der Blick fällt auf große Tafeln mit kunstvoll geschriebenen Gedichten, es gibt schöne Sitzgelegenheiten, im hinteren Raum als Blickfang die Kopie des Goethe-Porträts, das Joseph Karl Stieler 1828 in Weimar gemalt hat. Dazu natürlich, penibel geordnet, Bücher, Neues und Älteres, übersichtlich präsentiert in Regalen und auf Tischen.

Das Besondere ist hier nicht nur das Ambiente, das gelungene, ästhetisch vollkommene Arrangement von Vers-tafeln, Kunstwerken, Blumen und Büchern. Der Wetzstein fällt allein durch sein Angebot aus dem Rahmen. Bestsellerlisten werden ignoriert, auch der Zeitgeist bleibt draußen, und wer bloß einen simplen Unterhaltungsroman oder ein Kochbuch verlangt, wird zur Konkurrenz geschickt. Hier hat die Literatur, die Kunst, die Philosophie eine ihrer fantastischen Domänen, hier findet man, was man sonst (und schon gar nicht in dieser Fülle) in Buchhandlungen heute kaum zu sehen kriegt: ganze Regalreihen Insel-Bücherei und Manesse, viele Meter Bibliothek Suhrkamp, Wagenbachs rote Salto-Ausgaben, die Editionen des Deutschen Klassiker Verlags (in blauem Leinen und rotem Leder), die Prachtbände der Anderen Bibliothek, die Philosophische Bibliothek des Meiner-Verlages, Bücher, die schon vor einer ganzen Weile erschienen und, wenn sie verkauft sind, gleich nachbestellt werden.

Thomas Bader, der Mann, der das alles geschaffen hat, der nur anbot, was ihm selber gefiel, ausgestattet mit einem untrüglichen Sinn für Qualität, stand meist inmitten der Bücher, zeigte, empfahl, wies auf eine Werkausgabe hin oder einen Bildband, führte zu den gerahmten Briefen an der Wand, alles Originale, darunter ein Schreiben von der Hand Friedrichs des Großen, erzählte von Besuchern, die weite Wege in Kauf nehmen, und natürlich musste man das Antiquariat in den hinteren Räumen gesehen haben, auch das eine Oase der Stille und Wunder.

Ein schmales Bändchen aus dem feinen Radius-Verlag setzt dem charmanten und leidenschaftlichen Buchhändler jetzt ein Denkmal. Thomas Bader ist, einundsiebzig Jahre alt, im März dieses Jahres gestorben, und seine Frau Susanne, die seitdem die Regie im Wetzstein führt (und regelmäßig auch die beliebten Wetzstein-Briefe mit den Buchempfehlungen schreibt) dokumentiert auf den fünfundsiebzig Seiten dieser schönen, vielstimmigen Danksagung die Trauerfeier im Freiburger Münster sowie die Erinnerungen der Freunde und Bewunderer, vorgetragen in einer Gedenkveranstaltung Ende Mai. »Egal, woher man kommt«, meinte dort der Schriftsteller Karl-Heinz Ott, »von dieser Buchhandlung schwärmt zwischen Hamburg und Zürich so gut wie jeder, der mit Büchern zu tun hat und dabei nicht erster Linie an Dinge denkt, mit denen sich handeln lässt.«

Abschied. Erinnerung an Thomas Bader. 1942 - 2014. Hg. von Susanne Bader. Radius Verlag. 75 S., br., 16 €.

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