Arbeiterrechte als rotes Tuch

Französische Unternehmen torpedieren arbeitnehmerfreundliche Rentenregelung schon vor deren Einführung

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Wer besonders schwer arbeitet, soll künftig früher in Rente gehen dürfen. Das hat zumindest die französische Regierung beschlossen. Die Firmen lehnen die Neuregelung ab.

Bereits bei der Rentenreform 2013 hatte die französische Regierung eine Sonderregelung für Menschen mit besonders belastenden Arbeitsbedingungen mit aufgenommen. Ab 1. Januar 2015 sollten solche Arbeitsbedingungen erfasst und auf die Rentenzeiten angerechnet werden, damit Betroffene vorzeitig in Rente gehen können. Doch die Unternehmerverbände, die dem von Anfang an ablehnend gegenüber standen, bremsten die Ausarbeitung entsprechender Anwendungsrichtlinien aus - und die Regierung ließ sie gewähren. Damit ist die Umsetzung ab Jahresanfang ernsthaft in Frage gestellt.

In einer ersten Phase sollten vier Faktoren erfasst werden und Rentenpunkte bringen: jährlich über 120 Stunden Nachtarbeit oder mehr als 900 Stunden eintönig wiederkehrende Handgriffe, regelmäßige Arbeit in wechselnden Schichten mit mehr als 50 Nachtschichten pro Jahr oder mehr als 60 Arbeitstage unter Überdruckbedingungen von mindestens 1,2 Bar. Ab 2016 sollten auch Lärm, das Heben schwerer Lasten und weitere Belastungen angerechnet werden. Ein Jahr unter solchen Bedingungen bringt vier Punkte und zehn Punkte bedeuten ein Quartal bei der Berechnung des Rentenalters. Auf diese Weise könnte es vorverlegt werden - allerdings nicht um mehr als zwei Jahre gegenüber dem gesetzlich vorgesehenen Einstieg.

Der führende Unternehmerverband Medef betont, man sei nicht grundsätzlich gegen die Anerkennung schwerer Arbeitsbedingungen, aber die Vorschrift in ihrer jetzigen Form bedeute für die Unternehmen, die zu einer detaillierten Erfassung und Nachweisführung gezwungen würden, einen »nicht hinnehmbaren« personellen und bürokratischen Mehraufwand. Nicht zuletzt kämen auf die Unternehmen Prozesskosten in Millionenhöhe zu, da damit gerechnet werden müsse, dass Arbeitnehmer, die mit der Anrechnung ihrer Arbeitsbedingungen nicht einverstanden sind, vor Gericht zögen. Vor allem kleine Betriebe könne das in den Ruin führen, warnt der Verband, für den die Vorschrift über die »Pénibilité« (Mühseligkeit) ein rotes Tuch ist. Besonders deutlich wird das, wenn Unternehmer gegen Steuern, Gesetze und Vorschriften der Regierung protestieren oder - wie vor kurzem in Paris - sogar dagegen auf die Straße gehen. Auf jedes Einlenken der Regierung reagiert Medef-Präsdient Pierre Gataz sofort mit neuen Forderungen, die unter der Losung der »Verbesserung der Wettweberbsfähigkeit der Unternehmen« vor allem auf den Abbau von Arbeitnehmerrechten zielen.

»In den meisten Unternehmen wird nichts getan, um die Vorschrift über die belastenden Arbeitsbedingungen umzusetzen, was auf ihre Torpedierung hinausläuft«, schätzt Frédéric Sanchez von der CGT-Metallarbeitergewerkschaft ein. »Die Vorschrift ist allerdings auch sehr kompliziert und aufwendig«, räumt er ein, »denn sie wurde am grünen Tisch entworfen, ohne die Realitäten des Arbeitsalltags zu berücksichtigen.« Im Arbeitsministerium ist man dagegen zuversichtlich und will nicht an eine Verweigerung der Unternehmer glauben: »Dies ist nicht die erste Reform, der die Unternehmerschaft ablehnend gegenüber steht«, meint ein Sprecher des Ministeriums, »aber wir sind überzeugt, dass sie die Republik und ihre Gesetze respektieren und einhalten.« Im übrigen müsse ja erst Ende 2015 über das erste Jahr abgerechnet und die Nachweisbögen bei den Rentenkassen abgeliefert werden.

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