Europa ließ sich nicht verschrotten, aber auch nicht erneuern

Italiens Regierungschef Matteo Renzi konnte seine großen Versprechen für sechs Monate EU-Ratsvorsitz nicht einhalten

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
Die italienische Ratspräsidentschaft geht zu Ende. Gemessen an den vollmundigen Ankündigungen und Versprechen von Ministerpräsident Matteo Renzi fällt die Bilanz doch recht mager aus.

Immerhin, es ist dem jungen italienischen Regierungschef Matteo Renzi gelungen, sich in Europa bekannt zu machen. Tatsächlich aber geschah das schon bevor Italien am 1. Juli die turnusmäßige EU-Präsidentschaft übernahm: Im Mai verblüffte das Ergebnis der italienischen Demokraten (PD) bei der Europawahl die Partner. Fast überall hatten die Konservativen einen Sieg davongetragen, während in Italien die sozialdemokratische Partei von Renzi über 40 Prozent der Stimmen erhielt.

Mit einem Mal hoben sich die Italiener von ihren europäischen »Kollegen« ab und wurden in dem sozialdemokratischen Reigen mit Abstand die stärkste Kraft. Man konnte die Italiener, die in den letzten Jahren mit Langzeit-Ministerpräsident Silvio Berlusconi in Europa vor allem negativ aufgefallen waren, nicht mehr als nebensächlich abtun oder belächeln. Bei den ersten EU-Treffen nach der Europawahl, die praktisch mit dem Amtsantritt Italiens an der Spitze der Europäischen Union zusammenfielen, wurde der »Macher« dieses Erfolgs besonders neugierig betrachtet. »Jung, dynamisch, erfolgreich« - diese Beschreibung eilte Matteo Renzi voraus und mit diesem Pfund wollte er auch wuchern.

In Italien war er angetreten, um das Land und die Politik »umzukrempeln«, das Alte zu verschrotten. Und genau das wollte er nun auch in der europäischen Gemeinschaft tun. Renzi kündigte zwei große Ziele an: Er wollte das Wachstum in den Mittelpunkt der europäischen Politik stellen und die rigide Sparpolitik in ihre Schranken weisen sowie für einen anderen Umgang mit dem großen Thema Zuwanderung, Flüchtlinge und Migration sorgen. Sechs Monate später ist klar: In beiden Punkten hat Renzi letztlich versagt.

In seinem Abschlussbericht zur Ratspräsidentschaft vor dem italienischen Parlament im Dezember sagte Matteo Renzi: »Wenn wir eine Bilanz ziehen müssten, dann müssten wir sagen, dass sich das Vokabular, dass sich die Wörter verändert haben.« Das ist nicht viel. Selbst der einzige sichtbare Erfolg, die Ernennung von Federica Mogherini zur EU-Außenbeauftragten, ist ein sehr zweifelhafter Sieg: Zum einen weiß man, dass diese Position extrem schwach ist und keine wirklichen Machtbefugnisse mit sich bringt; zum anderen musste Mogherini, um ernannt werden zu können, erklären, dass sie nicht zu »Putin-freundlich« ist, wie einige der Kritiker ihr vorgeworfen hatten. Italiens Rolle als Bindeglied zwischen Ost und West und nicht zuletzt die wirtschaftlichen Vorteile, die das Land vor allen auf dem Energiesektor aus dieser Vermittlerrolle gezogen hatte, werden also durch die Ernennung der ehemaligen Außenministerin geschwächt.

Auch auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik hat Italien kaum etwas bewegen können. Zwar heißt es heute, dass das Mittelmeer Europas Südgrenze ist und die EU-Institutionen - also die Grenzschutzagentur Frontex - dafür zuständig sind. Aber während es den italienischen Behörden mit der Operation »Mare Nostrum« vor allem darum ging, die Flüchtlinge bereits in internationalen Gewässern auf sichere Boote umzuladen, um das Massensterben im Mittelmeer einzudämmen, legt Frontex das Hauptaugenmerk auf den »Schutz« der Gewässer und patrouilliert entlang der Grenze. So ist es wohl auch kein Zufall, dass die etwa 4000 Migranten, die in den Tagen um Weihnachten gerettet wurden, alle von italienischen Schiffen aufgenommen und in italienische Häfen gebracht wurden. Einen echten Kurswechsel kann man also auch auf diesem Gebiet nicht erkennen.

Was bleibt, ist das, was sich bereits bei der Europawahl abzeichnete. Italien hat - zumindest im Kontext der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien - wieder etwas an Gewicht gewonnen. Neben dem französischen Präsidenten François Hollande ist Renzi jetzt der stärkste Vertreter der Anti-Merkel-Front unter den EU-Staats- und Regierungschefs.

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