Literarisch - kulinarisch

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Gogol, Zwetajewa, Brodsky, Tschechow und Tolstoi an einem Tisch - was in Wirklichkeit unmöglich gewesen wäre. Blicken sie vom Schutzumschlag dieses Buches zu uns aus dem Jenseits herüber? Offensichtlich haben sie zu diesem Zweck eine angeregte Unterhaltung unterbrochen. Die Flasche Wodka »Altes Moskau« mit diversen Kräutern hat womöglich Iwan Krylow spendiert. Den »Sibirischen Waldtee« brachte Valentin Rasputin vorbei. Das Borodinoer Brot ist mit General Tutschkow verbunden, dem Marina Zwetajewa ein Gedicht gewidmet hat. Und das Spanferkel? Weder Gogol noch Tolstoi wollten es missen.

Eigentlich ist der Tisch hier ja noch nicht einmal so gedeckt, wie es nach russischer Sitte sein sollte. Wir müssen annehmen, dass das Bild von Janina Kuschtewskaja nur ein Ausschnitt ist aus einem größeren Raum, wo sich mindestens noch eine weitere Tafel befindet. Darauf eine Fülle von Vorspeisen: Wachteleier mit Kaviar, Sülze mit Meerrettich, gefülltes Haselhuhn, Salat Wine-gret, Feldsalat mit Äpfeln und Zedernnüssen. Die Suppenteller - war’s Borschtsch, war’s Schtschi oder Ucha - sind offenbar schon abgeräumt. Natürlich hat es auch schon einen Gang mit Fisch gegeben - mit gefülltem Hecht, gekochten Krebsen und mit Stör auf Baikalart. Und wenn wir den fünf Autoren dann nicht mehr zusehen, wird noch »Blanc-Manger«, die »weiße Speise« aufgetragen, die Puschkin liebte, dazu der Kuchen »Akiko«, der seinen Namen durch eine Erzählung Viktor Pelewins bekam und aphrodisierend wirken soll.

Da macht ja schon die Vorstellung satt. Aber an Hochprozentigem für den Magen herrscht hier kein Mangel. Auch wenn Mangel, wenn Not, in den Weiten Russlands gang und gäbe war. Das Pendant dazu ist die Lust an der Fülle. Hinzu kommt, dass in einem Riesenreich zu leben, Auswirkungen auf die Seele hat. Kleinliches, Enges, Geiziges gar hat hier traditionell keinen Platz. Auch wenn man achtungsvoll von Sparsamkeit und »Organisiertheit« spricht, Tugenden, die gern den Deutschen zugeschrieben werden, mischt sich in die Bewunderung leiser Zweifel, ob diese Deutschen bei ihrer Effizienz nicht doch etwas Kaltes, Verklemmtes hätten. Ob sie zu leben wüssten. - Wer östliche Gastmähler kennt, der merkt tatsächlich, dass ihm was fehlt …

Von »Lebensintensität« spricht Tatjana Kuschtewskaja im Vorwort zu ihrem Band in Anlehnung an den russischen Philosophen Konstantin Leontjew. Sie meint, dass dies gerade für das Schriftstellerdasein wichtig sei. »Mit Genuss essen, heißt mit Genuss leben«, schreibt sie. Man spürt bei der Lektüre die Freude, die sie daran hatte, sich bewunderten Literaten schreibend zu nähern und über 230 Rezepte zusammenzutragen, die mit deren Werken verbunden sind.

Deutschen Lesern zu helfen, »den Gipfel der kulinarischen Weisheit Russlands« zu erklimmen, nicht weniger als das hat sie sich vorgenommen. »Und ein letzter guter Rat: Bringen Sie den Begriff ›Glück‹ nicht mit etwas Feststehendem in Verbindung … Lassen Sie das Glück lieber wie einen Schmetterling von einem zum anderen flattern: Heute ist es die Arbeit, morgen die Liebe und die Familie - übermorgen - ein feines Dessert wie die russische Pastila, die Lew Tolstoi so geliebt hat.«

Nun kann man sich vorstellen, dass auch diese womöglich älteste Süßspeise der russischen Küche nicht von Tolstoi selbst bereitet wurde. Wenn Genies genießen konnten, hatten sie das vornehmlich ihren Frauen oder Haushälterinnen zu verdanken. Ein Gruß diesen Namenlosen. Irmtraud Gutschke

Tatjana Kuschtewskaja: Zu Tisch bei Genies. Neue kulinarische Streifzüge durch die russische Literatur. Aus dem Russischen von Steffi Lunau und Ilse Tschörtner. Mit Illustrationen von Janina Kuschtewskaja. Grupello Verlag. 221 S., geb., 24,90 €.

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