Garaus für die Qual der Maus

Berliner Forscher der Technischen Universität wollen weniger Tierversuche

  • Ulrike Leszczynski
  • Lesedauer: 3 Min.
Für Tierversuche werden jährlich Millionen Mäuse gequält. Doch es gibt Hoffnung, dass es auch anders geht: mit Zell-Chips zum Beispiel.

Rasierte Kaninchen für Kosmetiktests darf es nicht mehr geben - zumindest in der Europäischen Union. Berliner Wissenschaftler wollen dabei helfen, Tierversuche auch in der Medizin auf lange Sicht fast überflüssig zu machen. Erfolge gebe es bereits mit Modellen aus menschlichen Hautzellen, sagt die Pharmakologin Monika Schäfer-Korting, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin (FU). Und an der Technischen Universität Berlin (TU) tüfteln Forscher am Nachbau des menschlichen Kreislaufsystems samt innerer Organe - auf einem winzigen Chip.

2013 gab es in Deutschland Versuche an fast drei Millionen Wirbeltieren, zumeist an Mäusen und Ratten. Mit rund 422 000 Versuchstieren belegt Berlin dabei bundesweit einen Spitzenplatz. Ein Grund ist, dass in der Hauptstadt besonders viel biomedizinische Grundlagenforschung betrieben wird. Noch. Denn bei der Suche nach einem Ersatz für Tierversuche sind Berliner Forscher auch aktiv. Mit politischer Rückendeckung. »Wir müssen noch mehr Alternativen zu den Tierversuchen entwickeln«, sagte Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) im Dezember. Für Monika Schäfer-Korting ist das mit politischem Druck, vor allem aber mit Fördergeldern durchaus möglich. Beispiel Kosmetikindustrie: Seit 2013 sind in allen EU-Ländern Tierversuche für Kosmetika verboten. Auch, weil es inzwischen anerkannte Alternativen gibt.

Die Ergebnisse dieser Methoden sind heute sogar oft besser auf den menschlichen Organismus übertragbar als Tests am Tier. Die gerieten nicht allein durch das Leid der Tiere in Misskredit. Es gibt noch ein großes Manko: Nicht alles, was beim Tier funktioniert, wirkt auch beim Menschen. Noch 2006 brachte der Test eines neuen Antikörpers für die Medikamentenentwicklung mehrere Menschen in London in Lebensgefahr. Tiere hatten vorher alle positiv auf den Wirkstoff reagiert. Es sind solche Fälle, die Monika Schäfer-Korting schon früh am Sinn von Tierversuchen zweifeln ließen. An der FU baute sie seit den 1990er Jahren ein Forschungsfeld mit auf, das nach Alternativen sucht - näher am Menschen. Die Wissenschaftler entwickelten zum Beispiel aus menschlichen Hautzellen Methoden und Modelle, um die Aufnahme von Substanzen in die menschliche Haut und deren Verstoffwechselung zu testen.

Für Hautreaktionstests seien Tierversuche heute weitgehend überflüssig, so die Pharmakologin.

Bei der Pharmaforschung sieht die Wissenschaftlerin bisher die geringste Bereitschaft, auf Tierversuche zu verzichten. In den vergangenen Jahren gab es demnach eher den gegenläufigen Trend. Es ist zur großen Verlockung geworden, mit dem neuen Wissen aus der Bioinformatik bei Mäusen einzelne Gene auszuschalten oder ihnen menschliche Gene einzupflanzen.

Für Schäfer-Korting muss das - im Zeitrahmen der nächsten 20 bis 30 Jahre - aber auch nicht mehr sein. Biotechnologie und Bioinformatik bieten ihrer Meinung nach Chancen, auch in der Pharmaforschung fast ohne Tierversuche auszukommen. »Ich würde sagen, zu 90 Prozent könnte das in Zukunft möglich sein«, sagt die Wissenschaftlerin. Nur bei hochkomplexen Reaktionen - wie zum Beispiel bei Tests von neuen Blutdrucksenkern - werde es schwierig.

Hoffnung auf Ersatz für Tierversuche machen Forschern Multiorgan-Chips, wie sie zum Beispiel an der TU Berlin entwickelt werden. Am Arbeitsbereich medizinische Biotechnologie geht es darum, verschiedene gezüchtete Organgewebe über eine Nährlösung miteinander zu verbinden, zum Beispiel Zellen von Leber und Haut. Ziel ist eine Art »Mikromensch«, der - gewachsen aus adulten Stammzellen - in ein Smartphone passen würde.

Der Zwei-Gewebe-Chip werde bereits in 20 Forschungs- und Industrieprojekten genutzt, sagt Projektleiter Uwe Marx. Langfristiges Ziel ist es, die wichtigsten inneren Organe wie Herz, Leber und Niere im Mini-Format des Chipsystems zu kombinieren und über eine Nährflüssigkeit über längere Zeit wie einen Organismus am Leben zu erhalten. Blut wäre die beste Nährlösung. Doch Blut braucht auch ein Gefäßsystem aus Zellen im Mini-Format, an dem die Forscher zurzeit tüfteln. Bisher seien die dünnen Verbindungsröhren im Chip noch Kanäle aus künstlichen Materialien. Die Forscher hoffen, dass solche Alternativen zu Tierversuchen in Zukunft locken, weil sie wahrscheinlich preiswerter sind. dpa/nd

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