Rhythmus der Unersättlichkeit

Elvis Presley, der »King of Rock ’n’ Roll«, wäre 80 Jahre alt

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Jeder hat seinen eigenen Elvis. Und jede dieser Projektionen hat ihre Berechtigung. Für Musikbegeisterte, die das Werk von der Person trennen können, ist da diese Stimme: Timbre gewordene Vielseitigkeit, sich über drei Oktaven erstreckende Variation aus Schmachtgesang, bebender Erotik, rebellischem Geschrei. Für reaktionäre Südstaatler ist der bekannteste Sohn der Region die selten gewordene Möglichkeit, auf eine große Vergangenheit jenseits der Sklaverei zu verweisen. Für Trash- und Glam-Rocker bleibt Elvis ewige Fundgrube an nachzuahmenden Geschmacklosigkeiten. Für Waffennarren, Kitschfanatiker und beleibte Freunde des exzessiven Erdnussbutter-Konsums sind die Fantasien über die Vorgänge hinter den Mauern von Graceland Jahrhundertroman und Selbstvergewisserung.

Für Freunde des dreckigen Rocks dagegen bleibt der spätere Schwiegermutter-Traum ewig der frühe Rebell, der Rock ’n’ Roll erst möglich gemacht hat. Und wer es braucht, wird in dem fetten Tabletten-Junkie der letzten Lebensjahre zuverlässig eine Hassfigur und ein offensichtliches Symbol westlicher Dekadenz finden. Es ist diese Gleichzeitigkeit, die Elvis - 37 Jahre, nachdem er tot vom Toilettensitz fiel - noch immer farbiger schillern lässt als die versammelte Popkonkurrenz. An diesem Donnerstag wäre Elvis Aaron Presley 80 Jahre alt geworden.

Man mag Elvis’ Hollywood-Eskapaden ab 1960 belächeln, seinen öffentlich vollzogenen körperlichen und künstlerischen Niedergang in Las Vegas verachten - den Typus des personalisierten Einzel-Popstars als Fläche erotischer Massenphantasien hat er zwischen 1953 und 1959 fast im Alleingang geschaffen. John Lennon übertrieb trotzdem, als er sagte: »Vor Elvis war gar nichts«. Denn zumindest die wichtigsten musikalischen Ingredienzien hatten die Afroamerikaner schon erfunden. Und auch Weiße, etwa Bill Haley, hatten mit diesen schon experimentiert. Elvis’ Verdienst besteht in der Symbiose: einerseits der des Country mit dem schwarzen Rhythm and Blues. Andererseits der des Körperlichen mit dem neuen Rockabilly-Sound.

Neben der großen Verehrung schwingt beim »King«-Komplex immer auch ein großer Zweifel mit. Eine noch heute in den Fan-Foren verbissen und rechthaberisch geführte Debatte trägt ihren Teil dazu bei, das Feuer unter der Elvis-Leidenschaft am lodern zu halten: Hat er alles nur geklaut? Nein, hat er nicht. Dass er keinen Song selber geschrieben hat, unterscheidet ihn nicht von großen Interpreten, die sich das auch nicht vorhalten lassen müssen. So bleibt der Vorwurf des Kulturdiebstahls bei den Afroamerikanern. Aber war diese Aneignung schwarzer Stile nicht eher Verdienst als Vergehen? Eher Tribut als Arroganz, Respekt statt Rassismus? Muss man Letzteren nicht eher den damaligen Labels und Radios vorwerfen? Waren es doch Produzenten wie Elvis-Entdecker Sam Phillips von Sun-Records, die ganz unverblümt nach Weißen mit schwarzem Musikverständnis suchten - um denen die Stücke der betrogenen und benachteiligten afroamerikanischen Komponisten überzuhelfen.

Elvis mit seiner ärmlichen White-Trash-Herkunft war selber Underdog. 1935 als Arbeiterkind in Tupelo/Mississippi geboren, erste Gitarre mit elf, frühe Stimmbildung im Kirchenchor, 1948 Umzug nach Memphis/Tennesee. Hätten es sich seine Eltern leisten können, wären sie vielleicht nicht in die Nähe des Schwarzenghettos gezogen - und dann würde diese Widmung heute hier nicht stehen.

Dass sich ein weißer Junge in den rassistischen US-Südstaaten der 50er Jahre so intensiv mit der afroamerikanischen Popkultur beschäftigte, und diese auch noch verstand, ist bemerkenswert und eher ein Verdienst. Schließlich ist ohne Elvis auch die Karriere von schwarzen Superstars wie James Brown schwer denkbar. Dass Elvis heute eine konservative Stilikone ist, verstellt den Blick darauf, dass er 1954 tatsächlich ein umstrittener Pop-Vorreiter war, der Sex und »Nigger-Musik« ins nationale Radio brachte.

Es gibt kaum einen Superlativ, den der »King of Rock ’n’ Roll«, der an Verkäufen und Verbreitung erfolgreichste Einzelkünstler aller Zeiten, nicht erreicht hätte, eine Aufzählung kann hier unterbleiben. Erinnert werden soll stattdessen an zwei künstlerische Höhepunkte des Ausnahmetalents. Da sie unter Tonnen von Best-Of-, Beste-Balladen- und Greatest-Hits-Compilations verschüttet sind, muss man sie nämlich zunächst wieder aufspüren, die großen Elvis-LPs. Zum Beispiel das Debüt »Elvis Presley« von 1956: Die Coolness, die Unersättlichkeit und federleichte Ekstase des 21-Jährigen trieft aus jeder Rille. Um das Phänomen des frühen Elvis zu verstehen, muss man die rauen Klassiker »Blue Suede Shoes«, »I’m Counting On You«, »Tutti Frutti« oder »I Got A Woman« hintereinander hören, ohne dass sie durch späten Schnulzen- oder Gospel-Kitsch verwässert werden, wie auf den Kompilationen üblich.

Auf »From Elvis in Memphis« von 1969 finden sich mit »In The Ghetto« und »Suspicious Minds« mindestens zwei Aufnahmen für die Ewigkeit. Auf dieser Platte gerinnt die Lebenserfahrung des getriebenen, aber abgekämpften Gierschlunds zu ergreifenden und geradezu souligen Momenten. Es ist das letzte Aufbäumen vor dem Niedergang.

Es folgten die weißen, bis zum Bauchnabel geöffnete Overalls, die Schüsse in den Fernseher, die Monsterkoteletten, die Pharma-Cocktails und Riesensonnenbrillen. Eine klebrige Popoper auf großer Las-Vegas-Bühne. 1977 ging sie zu Ende - ohne Happy End.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal