Bei Anruf Koks

Wer Berlins lange Clubnächte nicht aus eigener Kraft durchsteht, wird bestens versorgt

  • Andreas Rabenstein
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine drogenfreie Gesellschaft ist kaum vorstellbar. Neben Alkohol nehmen gerade Großstädter oft Aufputschmittel. In Berlin zum Beispiel scheint Kokain in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein.

Zwei junge Männer stehen im Kneipenviertel Friedrichshains im Freien und diskutieren angeregt über einen kleinen Gegenstand. Um sie herum bummeln an diesem Winterabend Studenten, Touristen und Paare mit Kinderwagen. Bei genauerem Hinsehen wird klar, was die Männer in der Kälte so beschäftigt: ein Joint, der noch nicht ganz einsatzfähig ist. Der Geruch von Marihuana geghört in manchen Gegenden Berlins fast genauso zum Alltag wie die Bierflasche in der Hand flanierender Partygänger.

Andere Drogen sind in der deutschen Hauptstadt ähnlich verbreitet, auch wenn sie nicht ganz so öffentlich eingenommen werden.

Früher Sonntagmorgen, Bässe, Pause zwischen Wodkashots und Tanzen: »Natürlich müssen die nicht alle nur aufs Klo«, sagt die 31-jährige Franziska - Verkäuferin in einem Biosupermarkt - mit Blick auf die lange Schlange vor den Toiletten des Clubs. Um Kokain zu schnupfen, braucht es zumindest eine kleine Ruhezone mit einer Ablagefläche für das Pulver. Und auch bei Geburtstagspartys in Clubgängerkreisen ist es nicht ungewöhnlich, wenn der Gastgeber nach der Begrüßung auf denjenigen verweist, »der alles dabei hat für die Nacht«. Neben Kokain sind das meist Ecstasy-Pillen oder andere Amphetamine.

Partys in angesagten Clubs, die nicht selten bis zum Morgengrauen oder mehrere Nächte dauern, lassen sich allein mit Bier, Wodka und Zigaretten kaum durchhalten. Koks und Amphetamine euphorisieren und halten wach. Sie können aber auch süchtig machen und das Gehirn schwer schädigen.

Die Berliner Polizei erfasste 2013 rund 13 300 Rauschgiftdelikte - deutlich mehr als in den Vorjahren, aber nur ein Bruchteil des tatsächlichen Geschehens. Die meisten neuen Ermittlungsverfahren gab es wegen Cannabis, Kokain und Aufputschmitteln wie Ecstasy. Die Zahlen bei Heroin stagnieren dagegen. Dazu kommen neue chemische Drogen, die oft aus legalen Substanzen gemischt werden.

Marihuana kaufen Berliner Kiffer meist bei Händlern, die sie schon länger kennen. Etwa die Hälfte der Cannabisprodukte wird in Wohnungen oder leerstehenden Scheunen und Hallen in Brandenburg angebaut und kommt auf schnellem Weg zu den Endverbrauchern. Bei den zahlreichen Dealern im berüchtigten Görlitzer Park in Kreuzberg kaufen fast nur Schüler und Touristen, wie es heißt. - Das teurere Koks, nach wie vor eher die Droge der gehobenen Mittelschicht, wird dagegen oft vorbeigebracht. Die Polizei erwähnte in ihrer Jahresstatistik extra die florierenden »Kokain-Lieferservices« (Koks-Taxis). Per Anruf oder SMS wird geordert. Der Dealer bringt die Ware per Auto zur Party, ins Büro, Hotel oder nach Hause. Käufer sind oft Angestellte, Handwerker oder Hausfrauen. Gezahlt wird bar, 50 bis 100 Euro pro Gramm.

Wie viele Menschen tatsächlich koksen, weiß auch die Polizei nicht. Der Drogenfahnder Olaf Schremm vom Rauschgiftdezernat im Landeskriminalamt sagte dem Stadtmagazin »Tip« den schönen Satz: »Was die Konsumenten angeht, haben wir, anders als bei Heroin, einfach keine Ahnung, eben weil keine zusammenhängenden Szenen existieren und die Konsumenten ihren Stoff wie eine Pizza geliefert bekommen.«

Große Mengen Kokain fielen der Polizei im vergangenen Jahr nur zufällig in die Hände. Anfang Januar 2014 wurden in Bananenkisten in einigen Aldi-Filialen 140 Kilogramm Kokain im Marktwert von sechs Millionen Euro entdeckt. Im Dezember fand man in einer Ladung Rohkaffee eine Tasche mit 33 Kilogramm.

Über den Kampf gegen Drogen macht sich auch Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt keine Illusion. »Wir können natürlich den Drogenhandel nicht völlig stoppen. Aber wir werden eine Konzentration in einem solchen Ausmaß nicht mehr zulassen«, sagt er der dpa über die Dealer in Kreuzberg, gegen die die Polizei inzwischen verstärkt vorgeht. Die vieldiskutierte Freigabe von Haschisch hält der Polizeichef für falsch. »Das Problem mit Kokain und Heroin würde weiterbestehen, auch die Kriminalität würde es weiter geben ebenso wie die ganzen Partydrogen, die Amphetamine.«

Kriminelle Exzesse wie die Gewalt der Drogenkartelle etwa in Mexiko bereiten auch einigen Koksern hierzulande Gewissensbisse. Inwieweit sind Käufer und Konsumenten mitschuldig? Ein Handel mit harten Drogen ohne Mafia und Tote ist bislang zumindest unvorstellbar. dpa

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